Tag 22 in NaNoWriMo – mein erstes Mal – eine Sexszene schreiben

Am Sonntag ist es soweit – meine Dirigentin Jo und ihr brasilianischer Kollege haben ihren ersten Kuss gelandet und nun geht es ins Bett. Aber wie schreibe ich eine Sexszene. Das ist absolut neu für mich. Ich weiß, dass ich als Leserin solche Szenen eigentlich ganz gerne habe, aber unterschiedlich gut gelungen finde. Bei Stephen King zum Beispiel geht es immer ziemlich deftig zu, in Frauenromanen romantisch bis kitschig, die „Kamera“ hat meistens einen rosa-rot Filter drauf und faded aus, wenn es konkret wird.

Ich suche im Internet nach Artikel „wie schreibe ich eine gute Sexszene“ und stoße zunächst auf die Seite der britischen Zeitung „The Guardian“: Deren Literaturkritiker vergeben jedes Jahr „Britain’s most dreaded literary prize“ – nämlich einen Preis für die schlechteste Sexszene („outstandingly awful sexual scene“) in der Literatur. Unter Schriftstellern ist das Schreiben einer erotischen Szene nämlich nicht ohne Grund gefürchtet, denn das ist die Kür mit Dreifach-Axel auf sehr glattem Eis und man kann böse auf dem Hintern landen. In diesem Artikel sind auch wunderbare Zitate von preiswürdig peinlichen Beschreibungen zu finden – sehr lesenswert.

Damit wächst mein Respekt vor meiner Aufgabe umso mehr. Aber ich will es trotzdem wagen. Zum Glück finde ich noch einen hilfreichen Ratgeber-Artikel. Hier lerne ich, dass es bei einer gut geschriebenen Sexszene auf drei Dinge ankommt: 1. wechselseitiges Agieren, 2. die Balance physischer und psychischer Darstellung und 3. das Vokabular.

In meiner Bettszene beschreibe ich das Geschehen aus der weiblichen Sicht von Jo, aber ich werde nun darauf achten, auch den Mann im Wechsel vorkommen zu lassen. Wie bei einem Tanz: beide Partner vollführen ihre Bewegungen in Reaktion aufeinander, es gibt ein harmonisches Zusammenspiel der Körper. Nicht einer ist der Alleintänzer und der andere die passive Puppe.

Meinen besonderen Fokus werde ich auch auf die emotionale und psychologische Komponente legen und die Liebesnacht in den dramaturgischen Bogen der Handlung einbetten (ins Himmelbett natürlich). Als Leserin soll man nachempfinden können, warum Jo ihre eigenen Regeln bricht (Karriere statt Beziehung), warum sie sich hinreißen lässt, was es für sie bedeutet, ihre Männerverkleidung abzulegen und wieder Frau sein zu dürfen und schließlich warum sie im Nachklang wieder einen Riegel vorschiebt und das Liebespaar nicht ins Happy End einläuft, sondern die Komplikationen und die Gefühlsturbulenzen jetzt erst so richtig losgehen.

Dann stellt sich die Frage des Vokabulars. Es gibt ja eine erstaunliche Bandbreite von Ausdrücken für die weiblichen und männlichen Körperteile, von vulgär, derb über medizinisch, neutral, verniedlichend und metaphorisch. Entscheidend für mich ist, dass ich die Sprache von meiner Protagonistin finde, denn aus ihrer Sicht ist die Szene schließlich beschrieben – also müssen die Vokabeln zu ihrem sonstigen Sprachduktus passen. Ich kann also auf einige musikalische Vergleiche und Metaphern zurückgreifen, aber abgesehen davon hat sie eine nordische Klarheit in ihrer Sprache und nennt die Dinge eher sachlich beim Namen. Also wird es die „Paradiespforte“ in meinem Text nicht geben, auch will hier kein „purpur behelmten Krieger ins gelobte Land“ – wie Bodo Wartke in seinem genialen Lied „Mir fehlen die Worte“ zu diesem Thema vorschlägt.

Ich mache mich also mit Feuereifer ans Schreiben meiner Sexszene – und es macht mir unglaublich viel Spaß. Ich schreibe zwar etwas langsamer als sonst, weil ich öfters über die beste Wortwahl nachdenke – wie zum Beispiel soll sich das Brusthaar von Martin für Jo anfühlen? „flauschig“? Hm. Das klingt nach einem Küken. Ich hole mir Hilfe im Synonym-Wörterbuch und entscheide mich für „wollig“. Insgesamt geht es mir erstaunlich leicht von der Hand.

Nun ist das Werk vollbracht – die Szene dauert ganze 6 Seiten an – und ich bin zufrieden.

Ich bin sehr gespannt, ob und wie meinen zukünftigen Testleserinnen diese Sexszene gefällt – sicherlich kann man nicht jeden Geschmack treffen. Ihr könnt euch jetzt schon darauf freuen – ab Seite 163 geht es los.

Übrigens liege ich gut im Wordcount, schreibe jeden Abend und jede Nacht meine dreieinhalb Stunden und habe ein kleines Wörterpolster aufgebaut. Ich liege gut in der Zielkurve, nun kommt der lange Endspurt. Bin zuversichtlich.

12 Antworten auf „Tag 22 in NaNoWriMo – mein erstes Mal – eine Sexszene schreiben“

  1. Super interessant!
    In einem Buch, welches ich vor kurzem gelesen habe, wurde die Sexszene aus seiner Sicht geschrieben und ihr Geschlechtsteil hieß dort: ihre Hitze! Das fand ich doch etwas seltsam!😄

    1. Danke liebe Maren! Ja, das klingt wirklich seltsam und gar nicht „hot“. 😄 Könnte man für den „Outstandingly-awful-sexual-scene-Award“ nominieren.

    1. Danke liebe Leonie. 🙂 Ich hätte eigentlich Lust, mal eine Parodie zu schreiben und möglichst viele kitschige und cringy Umschreibungen einzubauen.

  2. Hallo Ulrike,
    es ist spannend zu erfahren, wie du schriftstellerisch an den erotischen Höhepunkt deines Romans herangehst und dass es dir Spaß macht, diese stilistisch delikate Gratwanderung auszugestalten.
    Die Beispiele der prämierten „outstandingly awful sexual scenes“ sind hilarious. 🙂 Ja, man kann mit dem Schreiben von Sexszenen leicht den passenden Ton verfehlen. Mit deinem Ziel, die Szene sprachlich in den Gesamtduktus des Romans einzupassen und stimmig zu den Charakteren zu schreiben, liegst du m.E. genau richtig – und auch die Musik-Metaphern bieten viel Potenzial. Bin schon sehr gespannt auf die gesamte Szene – die „Ouvertüre“ mit der prickelnden Annäherung finde ich sehr gelungen und vielversprechend. Auch der Konflikt ist schon angelegt.

    Wenn ich an andere (Frauen)Romane denke, die ich gelesen habe, dann fand ich es immer enttäuschend, wenn die Autorin bei Liebesszenen zu schnell „ausblendet“. Sehr gut im Schreiben von Sexszenen finde ich Nicole Vosseler, weil sie diese Interaktion auch nutzt, um die Beziehung des Paares auszugestalten. Und je nach Paar und Roman beschreibt sie es auch anders. Auch Tami Hoag schreibt in ihren Thrillern tolle lebendige Figuren inklusive deren leidenschaftliche Momente.

    Und wenn dein Roman eine Oper wäre, dann muss – nach den Arien von Sopran und Tenor – das Liebesduett ein Highlight sein. „O soave fanciulla“…
    Viele Grüße
    Dorit

    1. Vielen Dank liebe Dorit! Ich stimme dir völlig zu, dass man Liebesszenen sehr gut nutzen kann, um die Beziehungsdynamik des Paares besser zu beleuchten.
      Es freut mich, dass du die Annäherungsszene von Jo und Martin prickelnd findest. 🙂
      Als ich gestern meine Sexszene nochmal durchgelesen habe, weil ich etwas ergänzen wollte (sie streift seinen störenden Ehering ab…), fand ich meine Beschreibungen irgendwie sehr schwülstig. Beim nächtlichen Schreiben habe ich so darin gebadet, aber bei Tageslicht betrachtet… Hm. Bin sehr gespannt, was meine Testleserinnen (Du natürlich) mir zurück melden werden.
      Ja, ich hoffe, die Liebesszene passt in das Opern-hafte, das ich in meinem Roman anstrebe. Ich habe tatsächlich vor dem Schreiben der Sexszene zur Einstimmung das leidenschaftliche Butterfly-Duett der Hochzeitsnacht angehört – aber so toll, wie Puccini auf der Gefühls-Klaviatur spielt, bekomme ich das mit Worten nicht hin.

  3. Liebe Ulrike,
    du hast dich an ein wunderschönes und ebenso heikles, weil nicht einfach zu schreibendes, Thema herangewagt und die Stimmung einfach wunderbar aufgegriffen und mit-spürend und mitfühlend beschrieben …
    ich habe mal ein Schreibseminar zum Thema Erotisches Schreiben mit Nina george gemacht und ich habe noch nie so viel gelacht und gelernt wie an diesem Wochenende. Es gehen uns die Worte aus, je näher wir dem anderen kommen und je schräger unsere Begriffe werden, um so schräger die Texte …
    Mir hat das Schreiben unheimlich viel Spaß gemacht und ich mag am meisten eine Mischung aus angefangener Szene, andeuten und der Rest ist eigenes Kopfkino …
    Dir noch viel Spaß dabei und Gratulation zum NaNoWriMo-Wortpolster, so lässt es sich entsapnnt in den Endspurt hinein schreiben,
    viele Grüße,
    Sabine

    1. Vielen Dank liebe Sabine! 🙂 Bin ganz deiner Meinung, dass erotische Szenen am besten gelingen, wenn man das Kopfkino der Leserin oder des Lesers damit anknipsen kann. Auf ein Schreibseminar zu diesem Thema hätte ich auch total Lust – mit Nina George klingt toll.
      Wünsche dir auch einen guten Endspurt mit Henni – vielleicht sogar im Esjuwi ;-)!

  4. Liebe Ulrike,
    erst jetzt kam ich dazu, dein „Vorspiel“ zu lesen. Natürlich war ich traurig, den Höhepunkt zu verpassen, nachdem du mich so heiß gemacht hast:) Nein, ich will sagen, in der Schal-Szene knistert es so gewaltig, dass ich unbedingt mehr lesen will. Oder aber auch nicht. Im Leben wie in der Literatur liebe ich den Moment VOR der Hingabe bald mehr als das, was folgt. Erotisch ist für mich vor allem das Subtile, Angedeutete. Ich weiß gar nicht, ob ich Jo auf dem wolligen Brusthaar liegen sehen will … Aber das ist Geschmackssache und ich bin mir sicher, du wirst das wunderbar lösen.
    Eine andere Sache, die mich bewegt, weil ich den Text und Herrn Breuer zu wenig kenne: Hat der ein Faible für androgyne Wesen? Wieso fühlt er sich von Jo angezogen, wenn er doch sonst eher auf Weiblichkeit z.B. die Jeritza steht? Auch das wirst du sicher gut auflösen.
    Ich wünsche dir zündende Ideen und Schreibfreude für die letzten Meter (ich habe morgen keine 200 Wörter mehr vor mir, juhu),
    LG Amy

    1. Vielen Dank liebe Amy! Es freut mich, dass du das Vorspiel knisternd findest. 🙂 Das wollige Brusthaar von Martin Breuer kommt auch nicht zu prominent vor. Deine Frage zu seiner Motivation ist sehr hilfreich: Ich denke, seine Anziehung zu Jo wird aus dem Geheimsnisvollen genährt, er will sie erfoschen (typisch männlicher Entdecker). Leider bin ich nie in seiner Perspektive, so dass sich sein Verhalten von außen erschließen muss. Bin gespannt, was meine Testleserinnen über die Sequenz im Ganzen sagen werden – ob es nachvollziehbar ist, dass er sich zu Jo erotisch hingezogen fühlt. Falls nicht, muss ich da noch irgendwie nachbessern.
      Gratuliere, dass du dein NaNoWriMo-Ziel fast erreicht hast – die letzten Wörter laufen bestimmt wie von selbst. 🙂

  5. Liebe Ulrike,
    Spätestens in der Schal-Szene hast Du mich gepackt. Ich schwankte zwischen der Überlegung: Breuer weiß es längst, dass Jo eine Frau ist und der Überlegung: Breuer steht offensichtlich auch auf vermeintlich knackige junge Männer hin und her – aber beide Überlegungen trafen nicht wirklich den Kern und so warte ich gespannt, wie Du es auflösen wirst. Ich hatte jedenfalls noch genügend Platz für Kopfkino und das ist für mich gerade auch in Sex- Szenen wichtig.
    Inzwischen bist Du am Ende von NaNoWriMo angekommen. Herzlichen Glückwunsch. Ich bin sehr gespannt auf das fertige Werk.
    Liebe Grüße
    Anne

    1. Vielen Dank liebe Anne! 🙂 Was da so in Breuer vorgeht, bleibt der Fantasie überlassen. Ich glaube, eine gute Portion Mehrdeutigkeit in Liebesszenen hat einen besonderen Reiz. Freue mich schon aufs Weiterschreiben. Es gibt noch viele emotionale Verwicklungen und Missverständnisse.

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