Was hat meine Romanheldin Johanna/Jo als Dirigent in Wien in den letzten 64 Tagen nicht alles gekämpft, gelitten, geliebt und gewonnen? Dienstagnacht habe ich ihr letztes Kapitel geschrieben und gestern noch meinen Merkzettel abgearbeitet und punktuell inhaltliche Ergänzungen gemacht. Heute ist Jos Geschichte zu Ende erzählt – mein Herzensprojekt aus der Opernwelt in der ersten Fassung abgeschlossen.
Meine Anspannung will aber partout nicht von mir abfallen. Zur Belohnung für meine täglichen Anstrengungen seit dem 1. November 2020 wollte ich mir am Mittwoch ein Stück Sachertorte gönnen – mein Lieblingskuchen, den auch Jo in Wien gerne verspeist hat – aber in keiner der 4 Bäckereien in Karlshorst war ein solches aufzutreiben. Also musste ich mit Käsekuchen vom Blech Vorlieb nehmen – eine klebrig-süße Enttäuschung. Entweder muss ich mir selbst eine Sachertorte backen oder schnellstmöglich wieder nach Wien reisen (aber erst, wenn in der Oper wieder der Vorhang aufgeht).
In meinem Roman „Die Dirigentin im Herrenrock“ gibt es natürlich nicht nur Kaffeehausidylle im Dreivierteltakt, sondern im Mittelpunkt steht eine starke Frau, die für ihren Traum kämpft, Dirigentin in dieser Männerwelt der klassischen Musik zu werden, entgegen aller gesellschaftlichen Konventionen – dabei kommt ihr die Liebe in den Weg und es entwickelt sich ganz große Gefühlsoper.
Das Schicksal meiner Heldin hat im Laufe des Schreibens einen wahren Wellenritt vollführt – immer, wenn sie gerade einen kleinen Höhepunkt erklommen hat, habe ich ihr einen Stock in die Speichen geworfen, sie ist gestürzt und musste sich geschunden wieder aufrappeln und von neuem den Berg hinauf klettern.
Ouvertüre:
Eine begabte junge Frau aus Norddeutschland, so groß wie ein Leuchtturm, zieht an einem grauen Novembertag im Jahr 1925 in die alte Kaiserstadt ein, um als Dirigentin am berühmtesten Opernhaus Europas Fuß zu fassen. Dort wird sie jedoch als Frau rigoros abgewiesen. Entschlossen schnürt sie sich die Brust ein und versucht es am nächsten Tag erneut – als Mann verkleidet – und wird prompt als Dirigent (auf einer Assistentenstellen) engagiert.
Erster Akt:
Ihre Karriere nimmt Fahrt auf und sie begeistert die kritischen Musiker und das Wiener Publikum mit ihrem Können, aber gleichzeitig verliebt sie sich in ihren brasilianischen Dirigenten-Kollegen Martin Breuer, der verheiratet ist. Obwohl alles dagegen spricht, stürzt sie sich in eine leidenschaftliche Liebesnacht mit ihm. Am nächsten Tag lässt sie ihn abblitzten und will ihre weiblichen Neigungen zukünftig besser unterdrücken. Als sie wenige Wochen später erschrocken feststellt, dass sie schwanger ist, fangen ihre Probleme erst richtig an. Sie ist hin und her gerissen, ob sie das Kind bekommen soll. Sie bekommt den gesellschaftlichen Druck zu spüren, als ihre Vermieterin sie zu einer „Engelmacherin“ schickt und in Aussicht stellt, sie hinauszuwerfen, falls sie als ledige Frau ihr Kind zur Welt bringen sollte. Jo entscheidet sich trotzdem für ihr Baby und sucht händeringend nach einem Ausweg, der nur darin bestehen kann, passende Pflegeeltern für ihr Kind zu finden.
In dieser Phase wird sie von der Salonièren Eugenie Schwarzwald, der Schulleiterin einer Mädchen-Schule, eingeladen und lernt in deren Salon einige selbständige Frauen kennen, u.a. Anna Freud, die sich als Psychoanalytikerin mühsam aus dem großen Schatten ihres Vaters zu befreien versucht.
Dritter und Vierter Akt:
Es folgen viele dramatische Szenen, etwa, wenn Jo beim Dirigieren beinahe eine Fehlgeburt erleidet, wenn sie kurz darauf Martin endlich gesteht, dass sie sein Kind erwartet, die Niederkunft und ihr schmerzlicher Abschied von ihrer neugeborenen Tochter.
Fünfter Akt:
Zum Ende ihrer Reise muss Jo sich aus dem Korsett, in das sie sie selbst eingeschnürt hat, wieder befreien – sie muss sich ihre Weiblichkeit und Mutterschaft zurückerobern. Im Finale zieht sie aus, um ihr Kind und den Mann, den sie liebt, zurück zu gewinnen.
Ich muss gestehen, dass ich zu Beginn meiner Schreibreise ein anderes Ende vor Augen hatte – ein realistisches, in dem meiner Heldin vieles versagt bleibt, in der sie sich zwischen Karriere und privatem Glück entscheiden muss. Aber nachdem ich sie über 400 Seiten und fast 4 Handlungsjahre lang habe leiden lassen, habe ich ihr schließlich doch ein fast vollständiges Happy End gegönnt. Ich hoffe, meinen Leser*innen danken mir das.
Wiener Opernstars aus den 1920er Jahren und Zeitkolorit
Die Geschichte von Jo ist natürlich eingebettet in viele historische Details – insbesondere das Aufführungsgeschehen an der Wiener Oper habe ich gründlich recherchiert. Viele meiner Lieblingsopern lasse ich vorkommen und ihre Inhalte spiegeln oft das dramatische Geschehen auf der Erzählebene. Die schillernden Gesangsstars dieser Zeit wie Lotte Lehmann, Maria Jeritza, Jan Kiepura und Richard Tauber haben alle ihren Auftritt, natürlich auch Richard Strauss, der als Komponist und Operndirektor diese Zeit geprägt hat.
Als beruflicher Gegenspieler fungiert Jos herrischer Kollege Robert Heger, ein historischer Dirigent aus dieser Zeit (der sich später den Nazis zugewendet hat). In Liebesdingen ist die Ehefrau von Martin ihre Antagonistin. Zusätzliche Hürden im Streben meiner Heldin nach Glück und Erfolg stellen die gesellschaftlichen Konventionen und Vorurteile gegenüber Frauen dar.
Meine Erzählung in die 1920er Jahre einzufügen, erschien mir nicht allzu schwer. Aber die Details haben sich hin und wieder als Stolpersteine bemerkbar gemacht: So habe ich im Schreibeifer moderne Dinge wie Kühlschränke und Türklingeln mit Gegensprechanlage eingebaut. Zum Glück habe ich mir dann selbst auf die Finger geklopft und schnell Wikipedia konsultiert. Hinsichtlich der historischen Korrektheit gibt es also einiges zu beachten. Ich hoffe, ich habe keine Klopper mehr drinnen.
Sehr genüsslich habe ich Wienerische Redensarten eingebaut. Dafür werde ich ein kleines Wörterbuch in den Anhang des Romans stellen. Jetzt werde ich mich mal ins Gwand haun und einen Mulatschak zur Fertigstellung meines Werks feiern. Baba.
Meine Schreibnächte
Was meinen Schreibprozess angeht, so bin ich bei meinem vierten Roman wirklich gut in Schwung gekommen und hatte keine Durchhänger, wie im letzten Jahr bei meinem Antarktis-Roman. Ich habe das Gefühl, mich in diesem Stoff richtig freigeschrieben zu haben – was zum einen daran liegt, dass ich für die Opernwelt total brenne und es mir beim Schreiben immense Freude bereitet hat, darin zu schwelgen. Aber auch die Freiheit bei der Figurenentwicklung hat mich beflügelt, denn bei Johanna und Martin habe ich mich nicht durch eine historische Vorlage einengen lassen.
Ich habe einen guten Arbeitsrhythmus gefunden: Eine Abendschicht von 1 ½ bis 2 Stunden im Zeitfenster von 19 bis 22 Uhr und eine Nachtschicht von nochmals 1 ½ bis 2 Stunden in der Zeit zwischen 23 und 2 Uhr nachts. Ich kann am besten arbeiten, wenn es draußen dunkel ist, die Welt in Schlaf versinkt und mich nichts mehr ablenken kann – am Tage muss ich Einkäufe erledigen, will das Tageslicht zum Spazierengehen nutzen usw.
Die späten Morgenstunden sind quasi mein Feierabend, in denen ich mich ausruhe. Ab Nachmittag fängt mein Motor dann so langsam zu laufen an – ich bereite das Geschriebene vom Vorabend gedanklich nach und überlege, wie es in der Nacht weitergehen soll. So komme ich auf ein reines Schreibpensum von 3 bis 4 Stunden pro Tag. Die Erholungsphasen am Tag und zwischen den beiden Schreibeinheiten sind notwendig, damit sich die Inspiration und Schaffenskraft wieder aufladen kann.
Da ich irgendwie ein Statistik-Typ bin, trage ich meine Uhrzeiten und den Worcount täglich in eine Tabelle ein.
Hier mein Roman-Werk in Zahlen:
114.200 Wörter
484 Normseiten
64 Schreibtage (vom 1. November 2020 bis 13. Januar 2021, mit einer Woche Weihnachtsferien)
1.800 Wörter pro Tag im Durchschnitt
3.006 Rekord-Wörteranzahl an einem Tag
Wie geht es nun weiter? Heute ist Ruhetag. Ab Freitag beginne ich mit dem Korrekturlesen des Manuskripts. Wenn ich damit durch bin (Ende Januar) entlasse ich mein Werk mit viel Spannung an meine Testleserinnen (zwei habe ich schon, wer sonst noch gerne möchte, bitte bei mir melden) und freue mich auf deren Feedback. Aufbauend darauf geht es dann in die nächste Überarbeitungsrunde. Im Frühling schwimme ich also glücklich weiter auf der Opern-Welle.
Liebe Ulrike,
ich bin ganz begeistert von der Salon Szene! Das stimmungsvolle Ambiente hatte ich beim Lesen lebhaft vor Augen. Viele originelle und humorvolle Details (z. B. die Apothekertasche mit dem Likör :-)). Die schillernden Charaktere führen gewitzte Gespräche, die Dinge aus der Opernwelt und die Diskussion über die Rolle der Frau sind ungezwungen eingeflochten. Und die Protagonistin Johanna wird als echter Mensch lebendig: vielschichtig, eigensinnig und höchst sympathisch. Ich habe diesen Abend intensiv durch ihre Augen miterlebt und war gefesselt von dem Geschehen. An einigen Stellen habe ich geschmunzelt. Und Martin Breuer mit seinem heißblütigen und unberechenbaren Temperament ist wirklich eine „süße Versuchung“ und eine Gefahr für die Gefühlswelt so mancher Frau…
Ich freue mich schon sehr darauf, als Testleserin den gesamten Roman zu entdecken!
Deinen täglichen Schreibprozess kenne ich ja bereits (aus unseren Telefonaten etc.), Hut ab vor deiner Kreativität und Disziplin! Hier im Blog-Eintrag erzählst du dies sehr unterhaltsam. Über das ekelige Kuchenstück statt erträumter Sachertorte habe ich mich amüsiert.
Ich finde auch deine pointierte Zusammenfassung der Romanhandlung in den Akten sehr gut geschrieben, das kannst du im Exposé für deine Agentin und Verlage so ähnlich machen.
Ich finde nach wie vor, dass dies ein starker Stoff ist, der auch aktuell relevant ist, mit viel Zeit- und Lokalkolorit.
Wenn du erstmal die Hürde hinüber zur Veröffentlichung geschafft hast, werden die Leserinnen und Leser – insbesondere die mit Operninteresse (für diese gebildete und lesefreudige Zielgruppe hast du ja viel Insider-Wissen und glamouröse Anekdoten eingearbeitet) sich riesig an dem Roman erfreuen (und auch am Happy End :-)). Auch für Leute ohne Klassik-Vorwissen bietet der Roman attraktive Unterhaltung und einen Einblick in eine neue Welt.
Viele liebe Grüße
Dorit
Vielen Dank liebe Dorit! 🙂 Er freut mich sehr, dass du die Salon-Szene stimmungsvoll und die Figuren interessant findest. Ich habe versucht, diesen gesellschaftlichen Treffpunkt mit vielen Facetten zu zeigen – Austausch auf hohem intellektuellen Niveau (die Eliten haben sich dort getroffen), aber ohne dozierend zu wirken – und auch leicht exzentrische Künstler-Typen vorkommen zu lassen, insgesamt eine Atmosphäre von Toleranz, aber auch Klatsch und Tratsch finden ihren Raum. Besonders freut es mich, dass Jo und Martin lebendig rüber kommen und ihre amouröse Spannung spürbar wird.
Liebe Ulrike,
wow, wunderbar, ohnegleichen, Wien …
Ich spüre deine Leideschaft für die Oper und wundere mich daher überhaupt nicht, dass du dich mit DIESER Geschichte mit deinen eigenen, gefundenen SchreibZeiten freigeschrieben hast. Deine Zeilen ziehen mich von Beginn an in die Geschichte und jede Leseprobe hat Lust auf mehr gemacht. Es freut mich, dass es wieder eine Frau als Hauptfigur ist, die sich ihren Weg auf ihre ganz eigene Weise erkämpft. Es ist die Geschichte einer mutigen Frau, die uns gleichzeitig die Zeit der 20er Jahre nahe bringt.
Meinen Glückwunsch, der von Herzen kommt und diesem Buch gönne ich ebenso einen schönen Platz mit Aussicht im Regal einer Buchhandlung.
Herzliche Grüße,
Sabine
Vielen Dank liebe Sabine! Ich hoffe, meine Begeisterungen für die Musik und die Figuren überträgt sich auch auf die Leserinnen (aber zuerst auf die Agentin und einen Verlag, die ja leider skeptisch bei Musik-Themen sind). Ich freue mich sehr über deine ermutigenden Worte. 🙂
Liebe Ulrike,
zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zur Fertigstellung Deines Romans. Auch die Salon-Szene nimmt mich sofort mit in diese Zeit und in die Welt von Jo. Es ist nicht nur die Geschichte um die Musik, die mich fasziniert, sondern auch die Geschichte um den Kampf, den Jo ausfechten muss, um die Liebe zu dieser Musik so ausleben zu können. Gegen ein Happy-End für Jo habe ich nichts, im Gegenteil. Ich hoffe, das Buch bald in einem Buchladen erwerben und dem Buchhändler stolz verkünden zu können: „Ich kenne die Autorin persönlich.“ Ich drücke ganz fest die Daumen, dass das bald klappt!
Liebe Grüße
Anne
Vielen Dank liebe Anne! Es freut mich, dass die Salonszene dich in die Wiener Welt der 1920er mitnimmt und du an Jos Kampf um ihren Musik-Traum Anteil nimmst. 🙂 Bis mein Roman (je) gedruckt im Regal einer Buchhandlung steht, fließt wohl noch viel Wasser die Donau hinab. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf.