Deutschland: Berlin Dahlem, Fionas Zuhause – 4. Februar 2030, 6:55 Uhr – Fiona frühstückt mit ihrem Vater und geht zum Campus
Fiona träumte wieder von diesem Baum, der sich wie ein wütender Riese aus dem Betonboden der Universitätsbibliothek erhob. An seinen knorrigen Armen hingen anstelle von Laub die Seiten alter Bücher. Er fegte seine Äste durch die leeren Regale und Tischreihen und seine Buchblätter fielen zu Boden wie welkes Laub. Sie lief hilflos auf dem Blätterteppich aus bedruckten Seiten umher und versuchte, den Wüterich zu besänftigen. Sie war verantwortlich für die Rettung des Bücherbaums, er war der letzte seiner Art! Trommelnde Bongos rissen sie aus ihrem Traum und sie setzte sich ruckartig im Bett auf. Blinzelnd orientierte sie sich im Zimmer. Auf dem wandfüllenden Display neben ihrem Bett war die Sonne in der afrikanischen Savanne bereits aufgegangen und einige Giraffen näherten sich der Wasserstelle. Täuschend echt war auch die Wärme, die aus dieser Savanne ins Zimmer strahlte. Obwohl die ThermoSkin vor ihren Fenstern heruntergefahren war, wusste sie, dass Berlin noch im Dunkeln lag. Das Trommeln kam nun näher, wurde lauter.
„Lass mich schlafen“, murmelte Fiona in Richtung von KIM, aber diese schien sie nicht zu hören, denn die Bongos hörten nicht auf. „Ruhe“, rief Fiona nun energisch, aber wirkungslos. Sie tastete nach ihrem Smartphone. Kein Wunder, dass ihre SmartAssistentin KIM sie nicht hörte, denn deren Sprachsensor war tief vergraben unter dem Quilt, an dem Fiona gestern Abend genäht hatte.
„Schluss mit den Bongos, ich stehe jetzt auf“, sagte sie zu KIM. Augenblicklich befahl KIM dem Soundsurroundsystem des Zimmers, den Bongoweckruf auszuschalten. Seit Fiona vor zwei Jahren auf der Abiturfeier ihrer Waldorfschule bei der Bongo-Aufführung mitgespielt hatte, liebte sie den Klang der Bongos. Sie sind der Ruf Afrikas, fand Fiona.
„Guten Morgen, Schlafmütze, mach dich fertig für die Uni“, sagte die Stimme von KIM im Strict Mummy-Klangmodus, den Fiona ausgewählt hatte. „Okay, KIM. Bereite mir mein Frühstück Fresh2 vor, fertig in 40 Minuten.“
Sie ging ins Bad, wo KIM vor einer Viertelstunde die Bodenheizung angeschaltet hatte. Die Lichtsensoren erkannten den Badezimmergast und die Lampen strahlten Weißlicht auf Fionas Netzhaut zur Anhebung ihres Serotoninspiegels für eine energiereiche Morgenstimmung. Während die warmen Ströme der Regenwalddusche Fiona auf Kopf und Schultern plätscherten, dachte sie an den Baum mit seinen Blättern aus Buchseiten in ihrem Traum. Der war echt seltsam. An ihrer Universität gab es gar keine klassische Bibliothek mehr, stattdessen sorgten Buchattrappen in der Learning Library für eine nostalgische Lernatmosphäre. Alle Bibliotheken dieser Welt standen ihr offen, sie musste nur die virtuellen Türen auf ihrem Smartphone oder auf einem der Displays am Campus öffnen und eintreten. KIM und der K.I. Wizard der Mediathek halfen ihr, alles Gesuchte schnell zu finden.
Während Fiona ihre widerspenstigen Locken stylte, las KIM ihr die Termine des Tages vor. Fiona sagte: „KIM, reserviere einen Gruppenarbeitsraum für 6 Personen im Study Complex C und lade meine Lerngruppe WaldiForever ein. Uhrzeit: zwischen 12 und 16 Uhr, Dauer: 75 Minuten. Automatischen Abgleich mit den Kalendern der Teilnehmenden aktivieren.“
„Die Raumreservierung war erfolgreich. Zwei der vier Eingeladenen haben bereits zugesagt“, sagte KIM ihr kurz darauf im Stimmmodus Happy Helper. Seit dem neusten K.I.-Update konnte die smarte Assistentin auch auf Emotionen in Fionas Stimme reagieren. Gerade brachte Fiona ihr bei, auf gefühlsaufgeladene Ausdrücke und Stimmlagen zu reagieren. Wenn Fiona wütend klang, sagte KIM etwas Beschwichtigendes. Wenn Fiona niedergeschlagen klang, lieferte KIM etwas Aufmunterndes. Giga witzig, fand Fiona. Nur Ironie kapierte KIM nie.
Als Fiona in die Wohnküche kam, saß ihr Vater Steven schon am wabenförmigen Tisch, den Blick auf das Display seines All-in-One-Pads gerichtet, ausgestattet mit K.I. Features aus seiner Firma. Er las Nachrichten, ein Sensor erkannte die Bewegung seiner Pupillen und folgte seiner Lesegeschwindigkeit, ein Wischen auf dem Pad war so nicht mehr nötig. Das war sehr praktisch, wenn man während des Lesens essen wollte. Ihr Vater brauchte dafür aber ohnehin nur eine Hand, denn sein Frühstück nahm er in Form eines Healthy-Drinks zu sich, der alle nötigen Nährstoffe perfekt auf ihn zugeschnitten lieferte. Das war das Richtige nach seinem Fitnessprogramm am frühen Morgen.
Fiona nahm den bei KIM bestellten Fair Trade Kakao und den frisch gepressten Orangensaft aus der SmartKitchen-Maschine. Sie verschlabberte etwas vom Saft und ROB surrte herbei, um die kleine Lache vom Boden aufzuwischen. Der Reinigungsroboter sah wie ein kleines Ufo aus, hatte aber Allüren wie ein Kater, fand Fiona. Wenn er im Schlafmodus war, stupste sie ihn gerne mit der Fußspitze an, dann miaute er beleidigt.
„Wie läuft es im Studium?“, fragte Steven seine Tochter und blickte von seinem Pad auf.
„Alles im grünen Bereich.“ Was sollte diese Frage von ihrem Vater? Nachdem sie ihm die Zustimmung abgerungen hatte, in diesem Semester das kostenpflichtige Zusatzmodul „Nachhaltige Entwicklungsstrategien für Bildung in Schwellenländern“ belegen zu dürfen, hatte sie ihm widerwillig die Funktion PPP (Peek for proud parents) freigeschaltet. Nun bekam ihr Vater automatisch jeden Monat eine Zusammenfassung ihrer angesammelten Credit Points und Warnmeldungen, wenn sie den Level von 70 Prozent Lernbeteiligung unterschritt.
„Ich habe dich für das Praktikum im Juli bei uns in der Big Data Abteilung eingelogged“, sagte er. Ihr Vater leitete die Softwareentwicklungsfirma FUTURA und wollte, dass sie in ein paar Jahren in seine Fußstapfen treten würde.
„Danke, Papa“, murmelte Fiona und holte sich eine Maismilch im Softpack und Quinoaflocken aus dem Schrank.
„Du könntest schon etwas begeisterter klingen“, sagte ihr Vater.
„Sorry, ich hab meinen Enthusi-Modus noch nicht eingeschaltet“, gab sie mürrisch zurück.
Sie ließ ein paar Quinoaflocken auf den Boden fallen, damit ROB etwas zu tun hatte.
„Das wird halt zeitlich eng, wenn ich im Sommer für drei Wochen zu Lena nach Kenia fliege“, warf Fiona ein.
„Dass deine Cousine mit ihren kenianischen Schülerinnen Mangobäume pflanzt in allen Ehren – aber du qualifizierst dich für anspruchsvollere Arbeiten mit Education SmartSystems. Steck deine Energie lieber da rein“, mahnte ihr Vater. „Mit Bildung hilfst du den strukturschwachen Ländern am effektivsten. Deshalb ist FUTURA genau das Richtige für dich.“
„Trotzdem bringt das smarte Education Zeug nichts, wenn vielen Menschen immer noch die einfachsten Dinge fehlen!“, meldete sich Fionas Temperament.
„Der digitale Markt in Afrika ist fest in den Händen der großen Player“, sagte Steven.
„Diese scheiß Datenkapitalisten stürzen sich bestimmt nicht aus Menschenliebe auf Afrika!“, rief Fiona.
„Ruhig Blut, Fiona“, schaltete sich KIM ein und begann, „Don’t worry, be happy“ aus Fionas Playlist abzuspielen. „Du nervst“, sagte Fiona in Richtung ihres Smartphones und KIM machte die Musik leiser. Dann musste Fiona doch grinsen, die gute Laune des Retrosongs sprang einfach über.
Ihr Vater nahm den Faden wieder auf: „Jedenfalls bietet unser neues FUTURA Projekt SmartEduTech in Peking die besten Perspektiven für junge Upstarter – auch für dich!“
„Papa, jetzt fang nicht schon wieder mit Peking an!“, stöhnte Fiona.
„Wir werden sehen“, lenkte ihr Vater ein. Während Fiona ihr Müsli aß und aus dem Fenster hinaus träumte, betrachtete Steven seine Tochter mit Vaterstolz. Mit ihren wilden, kastanienbraunen Locken und den schelmischen Grübchen sah Fiona kindlicher aus, als die Kajalumrahmung der Augen und der pinke Lipgloss glauben machen wollten. Es kam ihm vor, als sei es erst gestern gewesen, als die vierjährige Fiona auf seinen Schultern geritten war und jauchzend an seinen Haaren gezogen hatte, um das ungestüme Zebra zu lenken.
Auf Stevens Pad poppte eine Meldung auf: Das Elektroauto in der Garage war fertig aufgeladen. Seine Augen befahlen dem digitalen Assistenten, das Auto vorfahren zu lassen. Heute hatte er ein face-to-face Meeting im Co-Working-Lab der Universität.
„Soll ich dich im Auto mitnehmen?“, fragte er.
„Nein, ich gehe lieber zu Fuß. Ich muss unterwegs noch einen Projektbericht ins My-Path-Portfolio einsprechen.“
Fiona machte sich auf den Weg und diktierte im Gehen ein paar Sätze in das digitale Portfolio. Dann öffnete sie dort ihren smarten Zeit- und Lernplaner und verschob einen Task, den sie am Vortag nicht erledigt hatte, auf den übernächsten Tag.
„Mist, das schiebe ich ständig vor mir her“, murmelte sie, was sie sofort bereute, denn KIMs Spracherkennung reagierte auf solche „Prokrastinationssätze“ und meldete sich nun in ihrer Rolle als Study Coach:
„Fiona, was höre ich da?“, sagte KIM in ihrer strengen Stimme. „Dein Portfolio meldet mir, dass du den Task „EconomyTest“ zum dritten Mal nicht erledigt und verschoben hast. In deiner Activity Schedule hast du heute einen Free Slot zwischen 13:45 und 14:30 Uhr. Soll ich den Task „EconomyTest“ in diesem Slot einbuchen?“
„Nein“, sagte Fiona laut und blockierte die Study-Coach-Funktion, bevor KIM widersprechen konnte.
Der Weg zum Campus führte Fiona nun durch ein kleines Waldstück. Hier steckte sie ihr Smartphone weg, lauschte in die winterliche Stille und sog den natürlichen Duft der Fichtennadeln ein. Der Kunstschnee auf den Tannenzweigen funkelte im Sonnenlicht und unter ihren Stiefeln knirschte das weiße Pulver – das war ein Klangeffekt, an dem die Hersteller vom „Winterzauber“ lange getüftelt hatten. In Fionas Kindheit gab es noch richtig kalte Winter und echten Schnee in Berlin. Jetzt musste sie die Winter-Illusion mit Erinnerungen ausfüllen.
Fotos von geralt, frei nutzbar nach Pixabay Licence
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Begriffserläuterungen: Digitales und Kenia
Bezugspunkte: Fachliteratur und Populärkultur
Die Autorinnen stellen sich vor
CC: Titelbild: Foto
Liebe Ulrike, liebe Dorit,
ich bin fasziniert von Serien und eure hat mich bereits beim ersten Teil „gepackt“ und ich möchte mehr lesen und noch mehr wissen.
Ebenso fasziniert und erschreckt mich die neue Welt mit ihren ausgefeilten, an George Orwell erinnernden, technischen Möglichkeiten, die nahtlos überwachen, aber natürlich auch unglaubliche Möglichhkeiten beinhalten und bedeuten.
Ich bin sehr gesapnnt, wie es weitergeht,
liebe Grüße,
Sabine
Vielen Dank liebe Mia (auch im Namen von Dorit)! 🙂 Es freut mich, dass die Geschichte dich gepackt hat. Ich finde die Überwachung durch unsere digitalen „Helfer“ schon jetzt ziemlich unheimlich (auch wenn ich wenige solcher Funktionen nutze) – mein Smartphone dieser kleine Spion… obwohl es mich fast reizen würde, mich von ihm/ihr mal mit einer strengen oder ermutigenden Stimme ansprechen zu lassen. Solange ich den Off-Knopf jederzeit betätigen kann. 🙂
Hallo Ulrike und Dorit,
beim Lesen von Kapitel 2 fand ich es interessant, die Lebenswelt im „smarten“ Berliner Haushalt mit der im Dorf in Kenia aus Kapitel 1 zu vergleichen. Ehrlich gesagt würde ich mich im kleinen Dorfhaus wohler fühlen (mit der herzlichen Atmosphäre und dem leckeren Frühstück :-)) als bei Fiona, die von all diesen künstlichen Dingen umgeben ist.
Mir ist auch aufgefallen, dass Kibee die digitale Technik (Studium, App zum Bezahlen am Bus) vor allem für praktische Dinge benutzt, während Fiona (die ich doch etwas verwöhnt finde :-)) diese Luxustechniken teilweise für Spielereien benutzt.
Ich weiß noch nicht, was ich von dieser smarten Kim halten soll, schon hilfreich, aber irgendwie scary… Bin gespannt, ob Kim weiter vorkommt und wie sie sich einmischt!
Viele Grüße
Naomi
Vielen Dank liebe Naomi. 🙂 Ich finde auch, dass die Mutter von Kibe viel herzlicher wirkt, als der Vater von Fiona. Auf KIM kannst du dich weiterhin freuen – sie mischt immer eifrig mit.
Liebe Ulrike und Dorit,
in eurem zweiten Kapitel kommt deutlich hervor, unter welchem Leistungsdruck die Gesellschaft steht. Die Technologien werden immer schlauer, aber dies bedeutet auch, dass die Menschen immer mehr zu leisten haben. Fiona steht nicht nur unter Kontrolle ihres Vaters, sondern wird gleichzeitig auch von KIM überwacht.
Als Steven die Nachrichten liest und nicht mal umblättern muss, weil seine Augenbewegungen getrackt werden, hat mich das sehr besorgt. Denn wie Sabine schon gesagt hat, erinnert dies sehr an die totalitäre Überwachung in „1984“, aber auch an „QualityLand“ von Mark-Uwe Kling. Keine Aktion ist mehr unbeobachtet und somit das Privatleben auch nicht mehr privat. Ich hoffe, dass uns so eine Zukunft nicht bevorsteht.
Liebe Grüße,
Sandra
Vielen Dank liebe Sandra! Ich finde auch, dass der Aspekt der Überwachung ziemlich unheimlich ist. „QualityLand“ von Marc-Uwe Kling kenne ich übrigens auch und finde das Buch ganz hervorragend (hatte sogar das Vergnügen, hier in Berlin bei der Live-Einlesung des Hörbuchs mit dabei zu sein).
Liebe Ulrike, Liebe Sandra,
ich möchte mich hier euch anschließen. Allerdings finde ich, dass wir dieser Zukunft sehr nah kommen. Es gibt bereits Apps, womit man dann mit dem Augen scrollen kann und auch das Handy lässt sich durch die Gesichtserkennung entsperren.
Ich finde deswegen die hier beschriebenen Funktionen sehr wahrscheinlich in der nahen Zukunft. Wie seht ihr das?
Liebe Grüße,
Michelle
Liebe Ulrike, Liebe Dorit,
die Figur von Fiona war mir mit ihrem Traum gleich sehr sympathisch. Ich finde die Vorstellung bedrückend, dass es möglicherweise in der Zukunft keine Bücher oder Bibliotheken mehr geben wird, sondern die Digitalisierung Buchkultur verschluckt. Ich als Studentin kann mich persönlich mit E-Readern gar nicht anfreunden und lese bevorzugt in richtigen Büchern.
Sonst scheint mir Fiona, wie auch schon in anderen Kommentaren angedeutet wurde, gänzlich umgeben von technischen Spielereien und geradezu überwacht. Eine KIM zur Unterstützung zu haben, die mich zusätzlich versucht vor dem Prokrastinieren zu bewahren, fände ich sicherlich auch in manchen Situationen hilfreich, doch welchen Preis zahlt man tatsächlich dafür?
Viele Grüße
Elisa
Vielen Dank liebe Elisa! 🙂 Ich bin auch ganz eine Leserin alter Schule und halte gerne das Buch in Papierform in der Hand. Lesen am Bildschirm tue ich nur ungern (fühlt sich auch immer wie Arbeit an). Aber vielleicht ist das Gewöhnungssache. Finde es spannend, dass du KIM zwiegespalten siehst.
Liebe Ulrike, liebe Dorit,
ich bin völlig fasziniert von Eurer Phantasie mit der ihr Eure digitale Erzählwelt ausstattet. Wobei vieles ja nicht einmal wirklich Phantasie ist, sondern in unserer realen Welt wohl zumindest in Ansätzen vorhanden ist. So genau, will ich das aber eigentlich auch nicht wissen, wo da die Grenze zwischen Fantasy und Reality wirklich verläuft. Ich lasse mich sehr gern unterhalten von diesen für mich futuristischen Lebensformen. Eine Kim könnte meinen inneren Schweinehund bezwingen und die innere kritische Stimme von der Schulter jagen. Ich bin gespannt, was Euch da noch so einfällt und was ich für gut erfunden halte, während es längst in anderen Zusammenhängen wahrscheinlich bereits existiert.
Liebe Grüße
Anne
Vielen Dank liebe Anne! Tja, ob KIM wohl deinen inneren Schweinehund in die Pfanne hauen könnte??? 🙂 Als Küchenhelferin wäre sie nicht völlig unbrauchbar (z.B. Einkaufliste erstellen und Rezepte liefern). Aber wenn ich darüber nachdenke, erscheint mir die Begrenztheit der Künstlichen Intelligenz besonders bei sinnlichen Tätigkeiten (wie z.B. das Abschmecken eines Gerichts) offenkundig.
@ Annemarie, @ Elisa, @ Sandra:
Ich finde es interessant, wie jede von euch die künstlich intelligente KIM etwas anders einschätzt, wobei der Tenor doch recht einhellig skeptisch ist.
Ich könnte mir auch vorstellen, dass es heute viele „digital natives“ (aktuelle Teenager, also die Studierenden von morgen) gibt, denen vor allem die praktischen Annehmlichkeiten der K.I. wichtig sind … mit wenig Besorgnis darum, was mit den ganzen Daten passiert, die man preisgibt, etc. Das wäre dann ein unbekümmerter, naiver Umgang.
Für dich, Sandra, steht der Aspekt, dass KIM Fiona „überwacht“ (z. B. alle (oder nur fast alle? Aktionen von Fiona mitverfolgt und auswertet), im Vordergrund. Ich finde es spannend, dass du darin auch einen Leistungsdruck für die Menschen siehst. Muss der Mensch also mit den Leistungen der K.I. mithalten? Oder aufpassen, dass die eigene „Schöpfung“ nicht außer Kontrolle gerät?
Du, Elisa, findest die Rolle von KIM als „strenge Lehrerin“ bzw. Trainerin, die dich zum Lernen anhält, zwar praktisch, siehst jedoch kritisch, was man dafür einbüßen muss … vielleicht Autonomie? Privatsphäre?
Du, Annemarie, schätzt es auch als möglich ein, dass KIM in der Rolle als Lehrerin/Trainerin einen Menschen zu mehr Disziplin beim Bearbeiten von Aufgaben antreiben könnten. Wobei du mit der „inneren kritischen Stimme“ einen wichtigen Aspekt einbringst, was zum Beispiel die Selbstzweifel bei kreativen Prozessen sein kann (verstehe ich dich richtig?). Das geht also psychologisch tiefer als nur ein reiner Aufschiebemechanismus.
Was ich mich frage (was für mich als Co-Autorin der Kurzgeschichte noch offen ist):
Kann eine Künstliche Intelligenz wie KIM mich wirklich motivieren, bestimmte Arbeiten zu erledigen, wie auch ein Mensch es könnte?
Wenn ich an mein eigenen Lern-/Arbeitsverhalten denke, würde so ein brüllender Drill Sergeant (im Prinzip wie eine Fitness Trainings App), der nur darauf aus ist, dass ich meine Leistungen termingerecht erbringen, nicht viel bringen. Vor allem, wenn ich KIM abschalten kann, sobald sie nervt. 🙂
Ich denke, es geht auch viel um die intrinsische Motivation. Also müsste die K.I. mich motivieren, indem sie mir die Sinnhaftigkeit und den Wert meiner Arbeit in Erinnerung ruft, Ziele und Lernwege formuliert etc. Das müsste dann eine empathische Studienberatung sein. TEASER: Ich kann so viel verraten: Diese Ideen werden in den nächsten Kapiteln wieder aufgegriffen… 🙂
Ich bin sehr gespannt auf eure weiteren Kommentare!
LG Dorit
Hallo Dorit,
ja, ich denke durchaus, dass K.I.s das Leben einfacher machen, wenn sie perfekt auf einen eingestellt sind. Die K.I. könnte sich individuell auf die Persönlichkeit einstellen und somit auch herausfinden, was einen antreibt und somit auch zum Lernen motivieren. Meiner Meinung nach birgt aber genau dies ein großes Gefahrenpotential. Die Maschine kennt einen selbst bald besser als jeder andere (Familie und Freunde) und vielleicht sogar besser, als man sich selbst kennt, da sie nichts schön redet, verdrängt oder vergisst. Sie wird damit quasi allwissend, je mehr Zeit man mit ihr verbringt und kann Entscheidungen schon vorhersagen. Ein Privatleben hat man dann keineswegs mehr. Und ich möchte mir nicht vorstellen, was passieren könnte, sollten diese sensiblen Daten missbraucht werden.
Und vielleicht werden dann die Beziehungen unter Menschen noch schwieriger, weil man sich von der Maschine besser verstanden fühlt, als vom eigenen Partner. Leben wir dann den Großteil unseres Lebens nicht mehr in der realen Welt, sondern in einer von uns eigens erschaffenen Abbildung der Wirklichkeit? Eine Wirklichkeit, die uns besser gefällt, in der wir den Problemen der Wirklichkeit entfliehen können.
Liebe Grüße,
Sandra
Hallo Sandra,
das sind spannende Überlegungen! Wenn eine K.I. tatsächlich alle Daten, die über digitale Kanäle laufen (und auch per Smartphone fast immer dabei ist, mithört, mitfilmt…) zu einer Person sammelt, dann ensteht sicherlich ein datenreiches Personenprofil, bei dem nichts „vergessen“ oder „verdrängt“ wird. Das finde ich einen faszinierenden Gedanken von dir.
Aber ob ich mich von dieser K.I. wirklich auf einer zwischenmenschlichen Ebene verstanden fühlen würde? Ob sie mich besser kennen würde als meine Freunde/Familie?
Da habe ich meine Zweifel, denn die Algorithmen können m.E. immer noch nicht die wahrhaftigen Emotionen des Menschen richtig einordnen … und auch selbst beim Gespräch (auf Basis von psychologisch ausgewerteten Daten) mit einem Menschen nur Empathie und Ähnliches vortäuschen.
Ob eine K.I. meine Handlungen und Wünsche prognostizieren könnte? Auch hier sehe ich beim Menschen den Faktor „Unberechenbarkeit“ (Spontanität, Launen, Gefühle…), der sich eben nicht von einem Algorithmus berechnen lässt. Wie schätzt du das ein, Sandra?
Zu deinem Punkt „Datenmissbrauch“: Hast du den Film „100 Dinge“ (Deutschland 2018) gesehen? Auch da lebt der Protagonist eine intime Beziehung mit seiner Smartphone-K.I., die auf die Emotionen in seiner Stimme reagiert und seine Daten (ohne sein Wissen!) für eine Verführung zu Konsum nutzt.
Dass manche Menschen in virtuelle Welten (vor allem in gut gemachte, immersive Games) entfliehen und dort ihre Träume ausleben, ist ja schon längst passiert. Das wird von den Expertenstimmen als „krankhaft“ (Sucht, Realitätsverlust etc.) oder zumindest bedenklich bewertet (schon seit den Anfangstagen der Computerspiele).
Ein wirksamer „Schutz“ (ohne Freiheitsbeschränkung) gegen die negativen Folgen solch einer Immersion ist schwierig … da gibt es meines Wissens noch keine Lösungsansätze.
Andererseits kann man das Agieren im Virtuellen auch als positive Möglichkeit für ein „Probehandeln“ in einem harmlosen Kontext sehen.
Ich bin gespannt, wie diese Ideen in der Populärkultur und Wissenschaft weitergespielt werden … und was sich in Zukunft bewahrheiten wird!
LG Dorit
Dazu fällt mir noch der SciFi Film „Her“ (USA 2013) ein. Darin verliebt sich ein Mann in die K.I.-Stimme Samantha seines Computers. Übrigens fiel der Film beim Testpublikum durch, weil sie die K.I. Frauenstimme nicht mochten. Dann wurde neu synchronisiert: mit Scarlett Johansson. Sie kam dann toll an, aber nur, weil die Leute die Eigenschaften der echten Frau (sexy image etc.) auf die K.I. übertrugen, denke ich.
Hallo Dorit,
Ich kann deine Sichtweise sehr gut nachvollziehen, aber mir ist noch ein Beispiel eingefallen. In dem Buch „Die granulare Gesellschaft“ von Christoph Kucklick wird unter anderem die Geschichte von Ben Waber, einem Unternehmensberater erwähnt, der ein sogenanntes „Sociometer“ entwickelt hat. Dieses Gerät zeichnet auf, wie lange jemand mit jemand anderem redet, in welcher Entfernung die Personen dabei zueinander stehen, welche Körperhaltung sie haben, wie sie sich bewegen und wo sie sich aufhalten. Zusammen mit der Tonlage der Stimme kann ein Algorithmus dann auf die Stimmung der Person und auch auf die Haltung gegenüber dem Gesprächspartner schließen. Aus Erfahrungswerten könnten solche Alhorithmen dann lernen, die Reaktionen der Personen einzuschätzen. Und ich denke, dass viele Menschen vielleicht gar nicht so unberechenbar sind, wie sie denken. Aber natürlich möchte ich nicht behaupten, dass ein Algorithmus unfehlbar wäre. 😉
Ja, den Film „100 Dinge“ habe ich auch gesehen. Das ist genau das gleiche, wie in „Quality Land“ nur in etwas abgeschwächter Weise.
Liebe Grüße,
Sandra
Hallo,
zunächst einmal finde ich es klasse, wie zu Beginn dieses und des vorherigen Kapitels, die Unterschiede der parallellaufenden Welten von Fiona und Kibe aufgezeigt werden.
Außerdem ist es interessant, dass trotz des technologischen Fortschritts dennoch an Nostalgien festgehalten werden. Wie beispielsweise durch die Buchattrappen oder dem Kunstschnee. Da stellt sich die Frage, ob dieser Fortschritt irgendwann den Alltag nicht komplett über den Haufen wirft und alte sowie bekannte Dinge unbedeutend werden.
Ebenfalls spannend, ist die Vermenschlichung von Innovationen, wie diese in der Geschichte durch den „Mummy-Klangmodus“ beispielhaft beschrieben werden. Auch das Reagieren auf die Stimmlage, lässt die Frage zu: Sehen wir diese digitalen Assistenten irgendwann als mehr an, als das was sie sind? Bauen wir eine Beziehung zu diesen auf und ist die Abhängigkeit zu diesen aufgrund der persönlichen Beziehung, die aufgebaut wird, dadurch eine größere? Würden wir auf Updates evtl. emotional reagieren, wenn sich unser Assistent verändert und dadurch womöglich auch die Beziehung diesem dadurch gestört werden könnte?
Hallo Lya,
ich möchte mich hier deiner Frage anschließen. Bilden wir irgendwann mal eine Beziehung zu den Assistenten?
Nicht nur in dem Film „Her“, sondern selbst in Serien wie „South Park“ (mal davon abgesehen, wie man zu der Serie steht. ;)) wird genau diese Frage beschäftigt. Ich weis noch, als ich den Film Her das erste Mal gesehen habe, fand ich das als sehr verstörend.
Doch auch in Videospielen wie „Detroit: Become Human“ wird aufgezeigt, was passieren kann, wenn die K.I. ihr eigenes Bewusstsein bekommen.
Ich finde den Gedanken spannend und bin gespannt wie sich K.I. wie Siri oder Cortana in der Zukunft weiterentwickeln.
Kennst du denn Filme oder ähnliches mit dem Thema?
Liebe Grüße,
Michelle
Ich kann dir nur zustimmen, dass diese Mensch-Maschine-Interaktionen sehr befremdlich bis hin verstörend wirken. Abgesehen von Siri, Alexa oder Cortana verfügen auch bereits die Fahrzeuge in der Automobilindustrie über eigene Sprachassistenten. Selbst wenn in geraumer Zeit die Nutzung solcher Assistenten zum normalen Alltag gehören sollte, frage ich mich wie in Zukunft diese Assistenten miteinander interagieren, um den Alltag zu vereinfachen…
Weitere Filme zu dem Thema habe ich bisher selbst noch nicht weiterverfolgt bzw. angesehen, auch wenn es hierzu einige gibt.
Hallo Ulrike, Hallo Dorit,
vielen Dank für das zweite Kapitel.
Wie viele Kommentare vor mir möchte ich mich einer Meinung anschließen: Ich fand es sehr gut, wie ihr den Unterschied von Kibes Zuhause und Fionas.
Ich finde es spannend die Technologie mir vorzustellen. Vor allem fällt mir das aber leicht, da wir heutzutage bereits sehr viel mit K.I.‘s haben. Jeder Laptop mit Windows 10 hat „Cortana“, jedes Apple Produkt „Siri“ und die meisten Android-Handy kann man mit „ok Google“ aktivieren. Sprache-in-Text können mittlerweile auch die meisten Geräte und Staubsaugrobot werden von vielen schon als „normal“ angesehen.
Doch was ist eigentlich normal? Wird die Welt, wie Fiona sie erlebt, für uns normal sein?
Ich denke, dass dies vielleicht nicht in 10 Jahren bereits so extrem ist, wie ihr das geschildert habt. Dennoch glaube ich, dass unsere Zukunft sehr ähnlich sein wird.
Wir können nur noch abwarten.
Liebe Grüße,
Michelle
Hallo,
ich finde die “smarte Revolution“ im privaten Wohnbereich in diesem Kapitel sehr aufschlussreich, welche sicher unter subjektiven Gesichtspunkten zu betrachten ist.
Dass die Deutschen den Datenschutz doch recht ernst nehmen, ist beispielsweise daran zu erkennen, dass wir im Vergleich zu anderen europäischen Nachbarn noch gerne am Bargeld festhalten, da dies ein Stück Freiheit bedeutet. Darüber hinaus ist fraglich, inwiefern die Datenerfassung mit unserer Demokratie und dem Grundgesetz vereinbar ist. Muss wirklich alles vernetzt werden, bedeutet dies nicht auch einen massiven Eingriff in die Privatsphäre?
Punktuell (beispielsweise der Zugriff auf digitale Sprachassistenten für Ermittler bei der Strafverfolgung) mag dies vertretbar sein, aber wer sagt, dass uns die flächendeckende digitale Überwachung nicht bevorsteht? Gerade in der aktuellen Krisenzeit steht die Sammlung und Auswertung von Big Data, um das Virus zu bändigen, erneut zur Debatte.
Inwiefern diese smarten Technologien Komfort, Effizienz und Mehrwert oder doch Abhängigkeit und Überwachung für einen bedeuten, muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich denke, man sollte immer offen für neue Technologien sein und ich bin wirklich gespannt, ob das von dir beschriebene Szenario innerhalb eines Jahrzehnts zur technischen Norm wird – dieses dynamische Umfeld wird auf jeden Fall auch einige technische Herausforderungen mit sich bringen. Insbesondere der Aspekt, inwieweit das in unsere bestehende Infrastruktur integriert wird und unser Leben nachhaltig verändert, ist interessant.
Ich bin gespannt, wie es mit der Geschichte weitergeht!
Während ich mich in die Verhältnisse bei Kibe in Afrika mit meinem Hintergrund vom Jahr 2020 noch gut hineindenken konnte, haben die Autorinnen für Berlin eine fantastische Science- Fiction Welt lebendig werden lassen – die Menschen haben hier jede Menge technische Unterstützung (ich staune über die marktreifen Bezeichnungen :-)) und sind auch nie allein auf sich gestellt, denn sie haben ständig eine künstliche Intelligenz als „Lebensorganisator“ an ihrer Seite, hier KIM. KIM denkt an alles, erinnert, bereitet vor und führt auf Zuruf auch aus. Sehr komfortabel! Wenn man sich vorstellt, dass die Menschen schon heute immer mehr mit ihrem Handy erledigen können und auch Sprachsteuerungen immer mehr Einzug halten, ist es zu KIM nicht mehr weit. Ich muss aber zugeben, dass mich persönlich diese K.I. total nervt, die ständig mit dabei ist, kommentierend und besserwisserisch. Vermutlich muss man wie Fiona damit aufwachsen – in diesem Sinne hat das Handy bei der Jugend auch heute schon einen viel höheren Stellenwert als bei mir mit meinen 50 😉 Allerdings nutzt auch Steven die Möglichkeiten der KI reichlich, hier um seine Tochter zu optimieren. Voller Vaterstolz hat er natürlich nur die beste Ausbildung für sie im Blick und ist über die KI auch immer informiert, ob Fiona fleißig lernt. Im Grunde tut mir Fiona leid, wie KIM und ihr Vater ihr optimierend im Nacken sitzen – ich befürchte, dass die KI das Helikopterelterntum noch weiter ausbauen wird.
Erleichtert bin ich, dass die K.I. hier in den Kommentaren auch sehr kritisch gesehen wird – aber vielleicht sind wir heute einfach noch nicht so weit und der Fortschritt kommt – unaufhaltsam!
Liebe Evelyne,
vielen Dank für deine differenzierte Sichtweise. Beim Schreiben der Vater-Tochter-Beziehung und von KIM wollten Ulrike und ich ein ambivalentes Bild schaffen … und es ist für uns sehr spannend, die Reaktionen der Leserinnen und Leser hier zu lesen.
Ja, solche eine ständig präsente K.I. kann schnell in alltägliche Vorgänge eingreifen (z. B.: „Inwieweit beeinflusst die hilfreiche Assistentin durch das Selektieren der gelieferten Informationen alltagspraktischen Entscheidungen … und womöglich auch die Weltwahrnehmung von Fiona?“) und auch die Beziehungsgestaltung verändern – so wie du es ansprichst.
Ich schätze es genau wie du so ein, dass die aktuellen Jugendlichen, die mit dem Handy aufgewachsen sind und es in jeder Lebenslage nutzen (vor allem für soziale Beziehungspflege!), einen ganz anderen Umgang mit dieser Kulturtechnik (inklusive K.I.) haben, als die älteren Generationen. Mit dieser Selbstverständlichkeit der Nutzung geht womöglich auch eine verminderte kritische Reflexion einher. Oder wird es vielleicht in den nächsten Jahren ein „böses Erwachen“ geben, das eine radikale Trendwende einläuten wird?
Viele liebe Grüße
Dorit