Lernwelten 2030: Kapitel 4 – Virtuelle Wörterwelten: Wissenschaft und Magie

Berlin: Am Campus der Ada Lovelace Universität – 12. Februar 2030, 11 Uhr – Fiona und Kibe besuchen die Learning Library

Warum werden überhaupt Regale aufgestellt, wenn die Bücher fake sind?“, fragte Kibe. Er stand mit Fiona in der Learning Library und hielt eine Buchattrappe aus Pappe in der Hand. Der große Raum wurde von Holzregalen in Bereiche unterteilt, in denen Studierende an Arbeitstischen saßen und leise an ihren Pads arbeiteten. Viele Finger flogen über die Flüstertastaturen der Notebooks. Manche Studierende machten sich Notizen auf Papier.

Ich finde das gemütlich – in dieser Atmo komme ich in Lesestimmung. Und es ist leise“, sagte Fiona. „Pass auf, was gleich um 11 Uhr passiert.“

Ein leiser Gong durchbrach die Stille, die Lichtstimmung änderte sich und es kam Bewegung in den Raum. Einige Studierende verließen ihre Stillarbeitsplätze, andere kamen herein, suchten sich alleine oder in Tandems Plätze und ein leises Murmeln und Rascheln erfüllte den Raum.

Von 7 bis 11 Uhr ist nämlich Stille-Phase angesagt und zwischen 11 und 17 Uhr ist Dialog-Phase, dann ist leises Reden erlaubt. In den Abendstunden ist es dann wieder stiller. Hörst du jetzt dieses busy buzzing? Das klingt wie lauter Arbeiterinnen in einem Bienenstock, findest du nicht? Wenn ich höre, wie die anderen hier fleißig in allen Nischen arbeiten, krieg ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich hier nur herum sagge!“

Kibe lauschte und nickte. Sie machten einen Rundgang durch die Learning Library. Es gab keinen zentralen Lesesaal, wie Kibe es aus klassischen Bibliotheken kannte, sondern viele verschiedene Zonen, die um die Lichthöfe herum angeordnet waren. Während Kibe sich umschaute, lehnte es sich gegen eines der Bücherregale, das plötzlich nachgab, Kibe strauchelte und fand dann geschickt sein Gleichgewicht wieder.

„Was ist das denn für eine wackelige Fehlkonstruktion?“, fragte er.

„Das ist extra so gemacht. Man kann das Regal auf den Rollen verschieben und sich so eine Nische bauen. Siehst du?“, zeigte Fiona ihm den Kniff. „Das mache ich gerne, da drinnen hab ich meine Ruhe und keiner guckt mir über die Schulter. Außerdem kann ich mir eine mobile Leselampe mit reinnehmen.“

Zusätzlich gab es als Leseräume einige Kaminzimmer, wo ein künstlicher Kamin und weiche Ohrensessel für Gemütlichkeit sorgten. Dort waren die Still- und Dialogphasen genau andersherum geregelt als in den anderen Zonen. Gerade abends saßen die Studierenden hier gerne zum Plaudern beisammen.

Dann gingen Kibe und Fiona zu einem der großen Touchscreens, der ihnen die virtuelle Mediathek „ShowMe“ zeigte. Kibe loggte sich ein und schon stand er im dreidimensionalen Foyer eines futuristischen Wolkenkratzers. Schon oft hatte er diesen Raum über sein Smartphone betreten, hatte das Wegesystem durchschritten und Lernobjekte angeschaut. Wenn ihn etwas interessierte, berührte er das Sternicon, dann fand er das Lernobjekt in seinem persönlichen „My Collection Space“ wieder. Noch nie war er an die Grenzen dieses Raums gestoßen, hinter jeder Flurbiegung, hinter jeder Tür fand er neue Medien.

Immer zur Stelle war der virtuelle Suchhelfer Wizard. Der Avatar dieser Künstlichen Intelligenz sah nach Kibes Look-Anpassung wie Shuri aus, der hilfreichen und schönen Schwester vom Superhelden König T’Challa aus seinem Lieblingsfilm Black Panther. Der Wizard verarbeitete zu den gängigen Forschungsthemen alle wissenschaftlichen Textveröffentlichungen und Lernmedien in den meistgesprochenen Sprachen der Welt. Dabei konnte er mehr als eine althergebrachte Suche nach Schlagwörtern und Hashtags, denn schließlich war er ein „smarter Wissenschaftler“, wie er für sich warb. Der Wizard durchsuchte auch die Literaturverzeichnisse, Referenzen, Zitate, Querverweise, Verlinkungen, Peer-Reviews, User Bewertungen und auch wie oft ein Lernobjekt aufgerufen und von den Usern für ihre Collection „gesammelt“ wurde. Er tauschte außerdem Daten mit Online-Warenhäusern aus und wusste, wie oft welche Bücher und Medien heruntergeladen, gestreamed und gekauft wurden. So konnte er ermitteln, welche Texte und Medien aufeinander Bezug nahmen, welche besonders beliebt, unbeliebt oder heftig diskutiert wurden.

Kibe und Fiona fragten den Wizard nun nach Wissenschaftsliteratur zu Bildungsförderprojekten in Kenia. Sofort zeigte ihnen der Wizard eine Hashtag-Wolke und eine vernetzte Visualisierung von Publikationstiteln erschien wie von Zauberhand auf dem Bildschirm.

Fiona stutzte: „Häh? Diese drei Titel landen bei meiner Suche fast immer im Topptipp.“

Das liegt daran, dass der Wizard käuflich ist“, sagte Kibe. „Das ist genauso wie bei Amazon, da sind die guten Kundenbewertungen auch fake und gekauft.“

Echt? Solche Mechanismen kenne ich von Fantasyromanen im Online-Buchhandel. Gerade wird „Fifty shades of mist“ so zum Erfolg gehyped. Aber dass der Wizard der Unis auch so manipuliert wird? Das kann ich kaum glauben!“, wandte Fiona ein.

Ich habe letzten Sommer virtuell an einem MOOC [Massive Open Online Course] hier an der Ada Lovelace Universität teilgenommen“, erklärte Kibe. „Ich wollte mehr über wissenschaftliches Arbeiten lernen, weil das im Studiengang an meiner Heimatuni nicht vorkommt. Dabei habe ich gelernt, wie ich erkenne, welche Fachliteratur gute Qualität hat und ob sie seriös ist. Einige Autoren schreiben nämlich einfach das Forschungsergebnis rein, das ihre Auftraggeber haben wollen.“

Ah, du hast Recht! Das ist ja wie verstecktes Produktsponsoring!“, rief Fiona.

Und guck dir mal die Toppautoren zu Bildungsentwicklung in Kenia an“, sagte Kibe. „Das sind doch amerikanische Autoren, die das Leben in Kenia nur von außen kennen. Wenn du was Echtes über Bildungsprojekte lesen willst, dann lies Erfahrungsberichte von Einheimischen.“ Kibe zeigte Fiona zwei autobiografische Blogs auf seinem Smartphone. „Aber der Wizard kennt diese Art von Literatur gar nicht!“

Ja, mit all so künstlerischen Sachen wie Autobiografien, Romanen, Filmen und Serien hat der Wizard nichts am Hut, dieser alte Kulturmuffel“, sagte Fiona. „Und die Klatschpresse kennt er auch nicht, aber das spricht eigentlich für seinen guten Geschmack“, kicherte sie.

Fiona schaute auf die Uhr ihres Smartphones.

Jetzt müssen wir los zum Science Incubator in Berlin-Spandau. In einer halben Stunde fängt dort unser Workshop im Lernlabor von FUTURA an,“ sagte sie. „Die höheren Semester haben mir erzählt, dass man früher mit den U-Bahnen und Bussen von hier in Dahlem bis Spandau fast eine Stunde gebraucht hat. Jetzt nehmen wir einfach die Seilbahn, die ist super praktisch: umweltclean, leise und schnell! Bald soll es noch mehr davon in Berlin geben, denn der Smog und die verstopften Straßen nerven echt. Auch in den U-Bahnen ist es oft voll und stickig.“

Sie kamen bei der Seilbahnstation an. Dort wartete Nele auf sie, die Lernpsychologie studierte und zu ihrem interdisziplinären Workshopteam gehörte. Nele stürmte auf Fiona zu und sprudelte los:

Hast du schon das neuste Video von Estello gesehen?“ Sie zeigte Fiona auf InstaREAL wie der schöne Italiener auf dem roten Teppich in Cannes an der Seite der Pop Prinzessin Louane posierte.

Ob die Gerüchte stimmen, dass zwischen den beiden was läuft?“

Nee, guck dir mal ihr Styling an. Fail! Sie passt gar nicht zu ihm“, rettete Fiona den Traum von Estellos Singlestatus.

Guck, gerade hat Estello auf meinen Kommentar geantwortet“, jubilierte Nele. „Giga! Er erinnert sich sogar, dass ich ihn gefragt hatte, was seine neue RoleXX alles kann!“ Nele sprach in ihr Smartphone: „Ah, deine Watch ist fly! Wenn du sie mir schenkst, muss ich mir nicht das hässliche Fitnessarmband von meiner Omi leihen“, setzte sie den Flirt fort.

Kibe fiel auf, wie mühelos dieser Influencer die Mädels um seine Finger wickelte.

Jetzt erst bemerkte Nele ihn.

Ah, hi, bist du Fionas Mentee Kibe? Ich hab dich schon als Black-Panther-Avatar in unserem SimSeminar gesehen. In Reality siehst du ja aus wie wir! Ich dachte, dass du einen Kimono trägst“, sagte Nele und klang enttäuscht.

Nein, Kimonos trägt man nur in Japan. In Kenia heißt unsere traditionelle Kleidung Kanga. Dieses Stofftuch ist mit einem farbigen Muster bedruckt … und oft auch mit einem afrikanischen Sprichwort“, erklärte Kibe geduldig. „Frauen wickeln sich die Kanga um den Oberkörper als Kleid und auch als Tragetuch für ihre Kinder. Männer wickeln sich die Kanga um die Taille. Heutzutage tragen die meisten Leute die Kanga aber nur zu besonderen Festtagen.“

Kibe zeigte Nele und Fiona ein paar Fotos auf seinem Smartphone.

Diese Fotos sind vom letzten Sommer, da fand in meinem Heimatdorf eine große Hochzeitsfeier statt, dafür haben einige ihre Kanga angezogen. Sogar ich. Ihr könnt hier sehen, dass der Stoff bei uns Kikuyu viel braune Farbe hat. Bei den Massai hat die Kanga mehr rote Muster.“

Das sieht echt nice aus“, fand Fiona. „Ich würde auch gerne mal eine Kanga tragen!“ Auch Nele war begeistert und abonnierte sofort den Hashtag #kanga auf InstaREAL.

Dann stiegen sie in eine Seilbahnkabine und schwebten hoch über die Stadt hinweg, sogar die Sonne zeigte sich. „Wow, das ist ein ganz anderes Feeling als die google Earth Simulation von Berlin“, sagte Kibe.

Foto von Huwani Zulu , frei nutzbar nach Pixabay License

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Begriffserläuterungen: Digitales und Kenia

Bezugspunkte: Fachliteratur und Populärkultur

Personen und Schauplätze

Die Autorinnen stellen sich vor

Titelbild: Foto von Gerd Altmann, frei nutzbar nach Pixabay License

Lernwelten 2030: Kapitel 3 – Ein Learning Center mit vielen Gesichtern

Berlin: Am Campus der Ada Lovelace Universität – 8. Februar 2030, 10 Uhr – Kibe lernt Fiona und den Campus kennen

Hallo Fiona“, sagte Kibe und schüttelte höflich ihre Hand. Sie standen sich zum ersten Mal leibhaftig gegenüber. „Sie ist zierlicher als ihr Avatar und ihre Augen leuchten viel wärmer“, schoss es Kibe durch den Kopf.

Toll, dass du endlich hier bist“, strahlte Fiona und umarmte ihn. „Karibu“, versuchte sich Fiona an einem Willkommensgruß auf Swahili. „Wie war deine Reise? Fühlst du dich im Wohnheim wohl?“

Kibe erzählte ihr, dass er sich in den letzten Tagen gut eingelebt hatte.

Du sprichst so gut Englisch und Deutsch“, bemerkte Fiona. „Wie hast du das gelernt?“

Meine Muttersprache ist Kikuyu, sie wird in der Gegend um Nairobi gesprochen. In Kenia gibt es ganz viele Volksstämme mit eigenen Sprachen. Damit wir alle miteinander reden können, lernen wir schon in der Grundschule Swahili und Englisch. Diese beiden Sprachen hört man auch im Radio, Fernsehen und Web. Deutsch habe ich mit Online-Tutorials gelernt.“ Kibe zeigte Fiona auf seinem Smartphone seinen Sprachtrainer und wie er auch bei seinem Learning Content Untertitel in verschiedenen Sprachen einschalten konnte.

Look, ich habe eine smarte Translation App, die gerade unser Gespräch mithört und mir sofort eine Übersetzung in Swahili zeigt“, sagte Kibe.

Dann kann ich ja losplappern“, lachte Fiona. „Komm, jetzt zeige ich dir unseren Campus. Hier gibt es ein paar Sachen, die du noch nicht vom SimCampus kennst.“

Sie standen gerade in der Mitte des Meet and Greet Foyers im belebten Learning Center.

Guck, hier im Open Space kannst du dir aussuchen, was du gerade brauchst. Wenn du was essen und mit Freunden chillen willst, dann ist das Café das Richtige. Du kannst dein Essen auch in die Lounge nebenan mitnehmen“, erklärte Fiona Kibe. „Wenn du was Unimäßiges mit anderen besprechen willst, gehst du lieber in die ruhigeren Lernareale.“

Fiona führte Kibe ein Stück weiter, sie gelangten in einen riesigen Raum, der von einer Glaskuppel überspannt war. Dort oben schwebten farbige Stoffbahnen wie Drachen am Himmel, sie fingen den Schall ein. Der Boden und die Wände waren mit dunklem Filz verkleidet, von dem sich die Sitzlandschaft mit ihren fröhlichen Farben abhob. Viele der überkopfhohen Sitzmöbel waren so arrangiert, dass sie kleine Häuser bildeten. Aus ihnen drang gedämpftes Gemurmel, viele Lernteams waren gerade aktiv.

Dieser Bereich wird The Village genannt, weil es eine Art Lerndorf ist“, erklärte Fiona leise. „Guck, hier hinter diesen Polsterwänden verstecken sich gemütliche Sitzbänke rund um einen Tisch, da können sechs Leute zusammenarbeiten. Auf den Schildern steht „Soundroom“, weil sie schallgeschützt sind, aber wir nennen die Dinger einfach Sofahütten. Sie haben kein Dach und es kommen Licht und frische Luft von oben rein. Natürlich gibt es außerdem Leselampen und eine Klimaanlage. Am schönsten finde ich, wenn es draußen dunkel wird und in der Glaskuppel ein Sternenhimmel aufgeht. Okay, die Sterne sind fake, aber das Feeling ist fab“, schwärmte Fiona.

Was Kibe am besten gefiel, waren die „Green Walls“, die überall zu sehen waren. Auf diesen Wänden wuchs echtes Moos. Kibe wusste, wie wichtig solche Mooswände waren, um die Luft in den Städten zu filtern und zu kühlen.

Im Sommer werden die Betonfassaden zum reinsten Backofen“, erzählte Fiona. „Deshalb wurden hier am Campus und in der Innenstadt so viele Mooswände und hängende Garten gebaut. Bei Neubauten nimmt man direkt viel Holz für drinnen und draußen, das sorgt für ein gutes Klima und verbraucht wenig Energie.“

In Kenia benutzen wir Holz schon seit vielen Jahren zum Bauen“, sagte Kibe.

Kibe berührte das samtige Moos und sog das würzige Aroma ein. „Das erinnert mich an die Wiesen daheim in der Regenzeit.“

Fiona fragte Kibe mit Feuereifer nach all den Pflanzen und Tieren, die in seiner Heimat, der Hochebene beim Mount-Kenya-Massiv, lebten.

Wo wir gerade von Natur reden: Komm mit in unseren Learning Forest“, sagte Fiona und führte Kibe in eine Halle, die mit ihren vielen Pflanzen, Bäumen und Vogelstimmen einen Wald vortäuschte. Aus hygienischen Gründen waren nur die Pflanzen im Freilichtinnenhof lebendig. Die Holzverkleidung der Wände und die Möbel waren aus Echtholz, wie Kibe an den Astlöchern und Ritzen sah. Sie gingen mit lautlosen Schritten über den grünen Filzteppich. Es gab hier in verschiedenen Nischen Sitzgruppen für Lernende und auch auf den Hochplateaus konnte man abgeschirmt sitzen. Fiona nannte sie Baumhäuser.

In der Mitte lag das „Lagerfeuer“, ein digitaler SmartCube, um den rundum Holzsitzbänke treppenförmig angeordnet waren. Gerade saß dort eine Gruppe von Studierenden, die sich Artefakte virtuell am SmartCube ansah und besprach. Einige riefen virtuelle Objekte auf ihren Smartphones auf, platzierten sie im Raum und umkreisten sie mit Blick aufs Smartphone im Gehen. Andere trugen Mixed-Reality-Brillen zum Ansehen der virtuellen Objekte, die den physischen Raum überlagerten.

Hier wird nicht nur gelernt. Wenn das fake Lagerfeuer brennt, liegen die Leute hier auch gerne rum und quatschen. Ich nenne das ganze Ding Finnische Sauna … weil es halt so aussieht“, scherzte Fiona. In ihr Smartphone sagte sie zu ihrer K.I. Assistentin: „KIM, bestell mir einen Aufguss mit Aroma ‚Fichtenwald‘, in 10 Minuten“.

Es dauerte etwas länger als sonst bis KIM antwortete, erst musste sie Fionas Standort über GPS orten und einige Informationen im Netz suchen:

Du befindest dich im Lovelace Learning Center. Dieses Gebäude verfügt nicht über eine Sauna. Das nächste Saunacenter befindet sich in der Schützallee Nummer 6. Die Entfernung beträgt 3,2 Kilometer. Soll ich dir den Weg zeigen?“

KIM, das war ein Witz! Merk dir das“, versuchte Fiona, KIM zu erziehen.

Kibe hatte den Dialog amüsiert verfolgt. „Mein K.I. Assistent kapiert auch einige Sachen nicht, deshalb nenne ich ihn Kevin“, sagte Kibe und beide brachen in Gelächter aus.

Sie gingen ein Stück weiter. In einigen Zonen gab es verschließbare gläserne Räume.

Wenn du es noch leiser haben willst, kannst du in einen Gruppenarbeitsraum gehen, den musst du aber vorher übers Campusbuchungssystem reservieren“, erklärte Fiona. „Es gibt eine große Auswahl von solchen Räumen am Campus in verschiedenen Größen und Ausstattungen.“

Sie standen gerade vor einer Glaswand und blickten in einen Gruppenarbeitsraum, in dem vier Studierende an einem großen Smartboard standen.

Stört es euch nicht, wenn jeder reingucken kann?“, fragte Kibe.

Dafür gibt es einen Trick: Wenn du den Privatsphäre-Modus aktivierst, verwandelt sich die Scheibe in Milchglas, das ist irgendwie ein chemischer Prozess“, sagte Fiona. Sie zeigte ihm diese Funktion und Kibe staunte, als sich die Scheibe wie von Zauberhand verwandelte und der gläserne Raum aussah, wie mit Zuckerguss überzogen.

Wir nennen diesen Modus auch „Zuckerberg-Filter““, erklärte Fiona und zwinkerte Kibe zu.

Dann führte Fiona Kibe in die zweite Etage des Learning Centers, den Creative Floor.

Komm, ich zeig dir den Idea Market. Dort kann jeder seine Projekte und Ideen mit Postern, Exponaten und multimedialen Showcases vorstellen. Wenn man die Projektleute persönlich treffen will, geht man dort zur „Meet and Talk Time“, die fängt jetzt gleich um 12 Uhr an“, erzählte Fiona.

Sie gingen zum Stand von Fionas deutschtürkischen Freunden Nesrin und Serkan, sie studierte Kulturwissenschaften und er Pädagogik. Sie warben dort für ihre multimediale Märchenausstellung „Gretel trifft Aladin“. Sie handelte davon, wie die Grimm‘sche Märchenheldin einst mit Aladin die Wunderlampe in der Welt von 1001 Nacht suchte und ein Knusperhaus fand. Fiona hatte an der virtuellen Schnitzeljagd mitgearbeitet. Diese Erlebnisausstellung war im Exhibition and Performance Space am Campus zu erleben. In dieser Mehrzweckhalle mit Auditorium fanden alle Kunstprojekte statt. Das Märchenprojekt war eine Zusammenarbeit mit einer Berliner Schauspielschule, die dort einmal im Monat „Hänsel und Gretel“ als Theaterstück aufführte.

Morgen sehe ich mir die Ausstellung an, ich bin sehr gespannt!“, sagte Kibe.

Willst du wissen, wo solche Ideen entstehen?“, fragte Fiona.

Kibe ahnte die Antwort: „Dafür wäre das Creative Mashup Board gut!“

Er kannte dieses Board aus vom SimCampus. Sie gingen in den Nebenraum, wo ein wandfüllendes Whiteboard mit einer riesigen Bild-und-Wort-Collage hing. Dort am Mashup Board konnten alle Studierenden ihre Ideen anschreiben, anmalen und alles Mögliche wie Fotos, Poster, Zeitungsartikel oder Stoffe mit Magneten befestigen und mit Wollfäden Querverbindungen zeigen. Auch QR-Codes mit Links zu Online-Content waren zu sehen.

Im letzten Sommer hatten Kibe und Fiona an einer virtuellen „Utopiewerkstatt“ teilgenommen. Dort hatte die Dozentin die Collage zum Thema Zukunftsträume abfotografiert und in eine virtuelle Kreativleinwand eingebunden. Die Studierenden hatten dann digitale Artefakte und Texte ergänzt.

Das Mashup Board wurde von einer Studierendengruppe betrieben. Jeder konnte Diskussionsthemen aufschreiben und mitmachen. Am ersten Tag jeden Monats wurde das Whiteboard geleert. Fiona hatte vor ein paar Tagen diese Frage aufgeschrieben:

Dein Prof hat dich mit einer old school Powerpoint-Präsentation beauftragt. Nun stehst du im Seminarraum vor lauter Leuten mit zero Motivation. Was tun?“ Dazu gab es schon viele bildreiche Beiträge. Fiona machte ein Foto von dem aktuellen Stand und fügte es in ihr My-Path-Portfolio ein.

Ein Stück weiter befand sich ein großer Maker Space, dazwischen lag The Beach, ein Entspannungsareal mit sandfarbenem Boden und Strandkörben. Hier machten Fiona und Kibe nun eine Pause und aßen vegane Frühlingsrollen aus dem Snackautomaten. Dann saßen sie schweigend in ihren Strandkörben und beide war in ihr InstaREAL vertieft. Kibe stellte ein 360-Grad-Video mit immersion effect ein, das er im Learning Forest gemacht hatte und bekam sofort 77 Likes von ein paar Freunden und vielen Fremden. An seine Mutter sendete er ein happy Selfie von sich und Fiona. „Wir sehen aus wie alte Freunde. Dabei haben wir uns erst vor zwei Stunden in Real Facetime kennengelernt … seltsam“, dachte er.

Plötzlich fühlte er sich erschöpft von den vielen neuen Eindrücken und sehnte sich nach dem vertrauten Blick aus seinem Fenster daheim auf die glitzernden Gletscher des Mount-Kenya-Massivs. Hier beim künstlichen „Beach“ standen die Strandkörbe vor einem Panoramafenster und Kibe ließ nun seinen Blick über die Parklandschaft des Campus‘ wandern. Dunkle Stämme und Zweige ragten wie Geistergestalten aus Nebelschwaden hervor. „Wie lange wird es wohl dauern, bis ich in dieser neuen Umgebung den Durchblick haben werde?“, fragte er sich.

Als nächstes gingen sie in den Study Complex, der neben dem Learning Center lag. Dort gab es Seminarräume für Lehrveranstaltungen, Gruppenarbeitsräume, Project Labs, einige Büros für die Professorinnen und Professoren und einen großen Co-Working Space. Nur wenige der Lehrenden hatten hier ein eigenes Büro, die meisten arbeiteten im Home Office und kamen nur für Seminare, Besprechungen und gemeinsame Projektarbeiten auf den Campus.

Ihren Lieblingsort hatte Fiona als großes Finale des Rundgangs aufgehoben: den Rooftop Garden.

Wenn der Dachgarten nicht gerade Winterschlaf macht, blühen hier ganz viele Blumen und man kann sich sonnen oder im Schatten saggen“, erzählte Fiona. „Im Gewächshaus werden das ganze Jahr über Gemüse und Kräuter für unsere Cafeteria angebaut. Meine Öko-Gruppe hat erreicht, dass die Cafeteria an zwei Tagen ein rein vegetarisches Angebot hat. Wir Studis können an unserer Uni echt was bewirken. Und hier in der beheizten Orangerie gibt es diese Kokonsessel, ein Geheimtipp, wenn man in Ruhe was arbeiten will. Es gibt auch Leute, die dort gar keine Unisachen lernen, sondern in Fantasyromanen schmökern…“, sagte Fiona und ihre Augen funkelten schelmisch.

Foto von Dorit Günther: LEO Universität Kassel, 2019
Foto von geralt, frei nutzbar nach Pixabay License

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Begriffserläuterungen: Digitales und Kenia

Bezugspunkte: Fachliteratur und Populärkultur

Personen und Schauplätze

Die Autorinnen stellen sich vor

Titelbild: Foto von Dorit G.: Bibliothek der FU Berlin, 2017

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