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Mein Verlag Tinte & Feder (Amazon Publishing) hat mir 30 Rezensionsexemplare geschickt. In den nächsten Tagen werde ich diese Bücher auf die Reise zu ihren Lesenden schicken und hoffe auf viele erfreuliche Rezensionen.
Kein Stück der Musikgeschichte ist so sehr aufgeladen mit Mythos und Tradition wie die 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven. Kein Wunder also, dass Daniel Barenboim dieses Stück für das Konzert zum Jahreswechsel ausgewählt hat – es ist Begrüßung und vielleicht auch Abschied zugleich. Man hat den Eindruck, als schließe sich ein Kreis.
So gab der Generalmusikdirektor vor 30 Jahren, als er 1992 die musikalischen Geschicke der Staatsoper Unter den Linden in die Hand nahm, mit genau dieser Sinfonie seinen Einstand. Seither hat Maestro Barenboim dieses Stück mehr als 50 Mal mit der Staatskapelle zum Erklingen gebracht, unter anderem bei besonderen Anlässen.
So beschwor die musikalische Ode an die Freude im Jahr 2009 in einem Open-Air-Konzert vor dem Brandenburger Tor (u.a. mit Jonas Kaufmann und René Pape) mit seiner Botschaft von Humanität und Versöhnung aller Menschen den Geist der deutschen Demokratie zur Feier des 60. Geburtstag der BRD .
Auch bei der Premiere des publikumswirksamen Formats „Staatsoper für alle“ auf dem Bebelplatz im Jahr 2008 und erneut im Jahr 2017 zur Feier des Wiedereinzugs des Spielbetriebs in das grundsanierte Haus Unter den Linden begeisterte diese universelle Sinfonie die Zuhörenden.
Doch die Verbindung von Beethovens 9. Sinfonie mit Berlin reicht noch viel weiter zurück. Nach seiner Uraufführung am 7. Mai 1824 im Wiener Kärntnertortheater unter der Leitung von Beethoven persönlich erklang seine revolutionäre Sinfonie zwei Jahre später, am 27. November 1826 in der preußischen Hauptstadt im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. Das außergewöhnliche Werk mit seiner expressiven Fülle und dem Chorfinale sorgte beim damaligen Publikum für Erstaunen und auch für eine gewisse Irritation.
Wer übrigens die Originalpartitur dieses Ausnahmewerks bestaunen möchte, findet diese heute in der Berliner Staatsbibliothek verwahrt vor, da Beethoven diese Komposition seinerzeit König Friedrich Wilhelm III. von Preußen gewidmet hat.
Heutzutage gehört die 9. Sinfonie zu den meistgespielten und auch einem breiten Publikum bestens bekannten Musikstücken, vor allem natürlich der IV. Satz mit dem monumentalen Chor und den vier Solistenstimmen in der Vertonung von Friedrich Schillers (1759-1805) Ode „An die Freude“.
Um diese weltumspannende Hymne an die Menschlichkeit, Liebe und Hoffnung zu erleben, sind auch an diesem Sonntagnachmittag tausende von Menschen in die Staatsoper geströmt, das Haus ist ausverkauft.
Pünktlich um 16 Uhr nehmen die Orchestermusiker ihre Plätze auf dem Podium ein und stimmen sich ein. Dann wird es still und alle warten auf ihren Dirigenten. Doch der kommt nicht. Es vergehen einige Minuten des gespannten Stillsitzens, allmählich wispert es unruhig im Publikum. Nach etwa fünf Minuten erhebt sich Intendant Matthias Schulz von seinem Sitzplatz im ersten Rang, wo er eigentlich als Hausherr dem Konzert lauschen möchte, und eilt hinaus. Das Raunen nimmt zu. Was ist mit Daniel Barenboim?
Die allgemeine Sorge ist verständlich, denn der Generalmusikdirektor musste in den letzten Monaten einige Konzerte wegen seiner „schweren neurologischen Erkrankung“ absagen. Im November 2022 beging der argentinisch-israelische Pianist und Dirigent seinen 80. Geburtstag – ohne die geplanten Galakonzerte zu seinen Ehren selbst leiten zu können. Umso erstaunlicher ist es, dass er für die beiden Konzerte zum Jahreswechsel wieder vor das Dirigentenpult treten will.
Matthias Schulz kommt auf die Bühne, begrüßt das besorgte Publikum und bittet um ein wenig Geduld: „Daniel Barenboim ist im Haus. Es dauert noch 2 bis 3 Minuten.“
Tatsächlich betritt der Maestro kurz darauf unter herzlichem Applaus die Bühne und aberhunderte von Augenpaaren verfolgen, wie er vorsichtig mit kleinen Schritten zum Podest tippelt und unter offensichtlicher Mühe auf seinen Stuhl klettert. Daniel Barenboim ist von seiner Krankheit gezeichnet, legt dabei jedoch große Würde und Entschlossenheit an den Tag, seinem Orchester an diesem Nachmittag wieder die magischen Klänge der legendären Sinfonie zu entlocken.
Sobald der Dirigent seinen Platz eingenommen hat, scheint die körperliche Unsicherheit von ihm zu weichen und mit Taktstock und sparsamer Gestik leitet er die Staatskapelle routiniert durch die ersten Sätze der Sinfonie. Das Orchester zeigt einen harmonischen Klang und legt sich für seinen geschwächten Maestro besonders ins Zeug.
Schließlich kommt der Moment, auf den alle gewartet haben: Der Chor und die Solisten auf der hinteren Bühne erheben sich und René Papes voller Bass tönt durch den Saal in seinem Solo:
„O Freunde, nicht diese Töne!
Sondern lasst uns angenehmere
anstimmen, und freudenvollere!“
Der altgediente Kammersänger singt und verkörpert diesen Hoffnungsträger auf ideale Weise und man möchte ihn am liebsten sogleich zum Anführer einer Friedensbewegung machen. Der Chor stimmt ein und der „Freude schöner Götterfunke“ springt auf das Publikum über.
Die Stimmen von Sopran Camilla Nylund und Mezzosopran Marina Prudenskaya vereinen sich harmonisch. Tenor Saimir Pirgu schleudert seine Solopassage
„Laufet, Brüder, euer Bahn,
Freudig, wie ein Held zum Siegen!“
ein wenig abgehackt hervor, hier wäre mehr Legato wünschenswert gewesen.
Der Staatsopernchor (geleitet von Martin Wright) bietet ein wundervoll sphärisches Klangerlebnis.
„Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuss der ganzen Welt“
verströmt das Gefühl universeller Verbundenheit und Nächstenliebe.
Nachdem der letzte Ton verhallt ist, brandet Jubel im Auditorium auf und das ergriffene Publikum feiert das musikalische Erlebnis und vor allem Daniel Barenboim mit stehenden Ovationen.
Der Generalmusikdirektor nimmt diese Bekundung von jahrelang gewachsener Zuneigung mit einem sanften Lächeln entgegen. Ein Hauch von Wehmut und Abschied liegt in der Luft.
Das traditionelle Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker lockt jüngere sowie ältere Klassikbegeisterte in den bis auf den letzten Stehplatz besetzten Saal. Die Konzertserie mit italienischem Programm unter der Leitung von Kirill Petrenko mit Startenor Jonas Kaufmannals Gast wird an drei Abenden in Folge dargeboten, heute, am mittleren Tag, sind schon ein halbes Dutzend Kameras im Einsatz und proben für die weltweite Live-Ausstrahlung des Konzerts am letzten Tag des Jahres 2022 über das Internet, in unzählige Kinosäle auf der ganzen Welt und auf die TV-Bildschirme daheim über Arte.
Zum Auftakt bieten die Berliner Philharmoniker die Ouvertüre aus der Oper La forza del destino (Die Macht des Schicksals) von Giuseppe Verdi dar. Das Schicksalsmotiv braust durch den Saal und trägt die Zuhörenden in eine Innenwelt voller Kämpfe und Verzweiflung. Daran knüpft Jonas Kaufmann mit seiner Arie aus derselben Oper an. Während im Vorspiel die sehnsuchtsvolle Melodie der Solo-Klarinette erklingt, verwandelt sich der graugelockte Tenor im Frack emotional in die gepeinigte Figur des Don Alvaro, der mit »La vita è inferno all’infelice … Oh, tu che in seno agli angeli« sein Leben zwischen zwei Welten als „Mestize“ (Sohn eines Spaniers und einer Inkaprinzessin) und seine unstillbare Sehnsucht nach seiner Geliebten Leonore schmerzvoll besingt. Hier zeigt Kaufmann die ganze Bandbreite seiner gesanglichen Gestaltungskunst. Er lässt die Töne variantenreich an- und abschwellen und bildet eine fließende Gesangslinie (Legato) wie es der italienische Stil erfordert. Durch seine gefühlsgeladene Interpretation taucht man als Zuhörende ganz ins Seelenleben dieser Opernfigur ein.
Als nächstes wird eine Rarität zu Gehör gebracht. Die Oper Giulietta e Romeo von Riccardo Zandonai (uraufgeführt 1922) ist eine veristische Umsetzung des weltbekannten Dramas um das tragische Liebespaar Romeo und Julia. Dieses Stück hat es leider nicht ins gängige Repertoire der Opernhäuser geschafft. Umso schöner, diese Perle in der ergreifenden Interpretation von Jonas Kaufmann zu erleben: »Giulietta! Son io!«, schluchzt Romeo am Totenbett seiner Julia. Der Tenor bringt Trauer und Schmerz eindringlich zum Ausdruck, ohne dabei pathetisch zu wirken. Mit großer Innigkeit und warmen Stimmfarben gestaltet er diese Arie, die direkt ins Herz geht.
In der Ballettmusik Romeo und Julia, Suite Nr. 1 op. 64a: Tybalts Tod von Sergej Prokofjew schließen die Philharmoniker an den Stoff an. Kirill Petrenko lässt das Orchester seine ganzen Facetten zeigen und überzeugt mit einem mitreißenden und immer transparenten Klangerlebnis.
Nach der Pause bietet Kaufmann das bekannte „Improvviso“ dar, die Auftrittsarie des Andrea Chénier aus der gleichnamigen Oper von Umberto Giordano. Mit »Un di all‘ azzurro« beschreibt der Poet am Vorabend der französischen Revolution die Schönheit der Natur und die gegensätzliche Armut der Landbevölkerung und klagt die Ignoranz des Adels im Angesicht dieser Not an. Kaufmann hat diese Rolle schon oft auf der Opernbühne dargestellt und man merkt, dass er in dieser Arie ganz zuhause ist. Der Tenor begeistert mit kraftvoll schillernden Ausbrüchen und wechselt dabei mühelos in sanfte und schwelgerische Passagen.
Sodann wird man von den Philharmonikern in Pietro Mascagnis Intermezzo aus Cavalleria rusticana (uraufgeführt 1890) in ein hitziges sizilianisches Dorf entführt. Diese Oper gilt als Meisterwerk und Blaupause für den Verismo, einen Musikstil, der die Gefühle wahrhaftig und naturalistisch ausdrückt. Die ungeschönte Wahrheit über die Liebe bekommt man sodann in der herzzerreißenden Abschiedsarie des Turiddu präsentiert: »Mamma, quel vino è generoso«, singt Kaufmann. Hier zeigt der Tenor, dass er mit Leib und Seele Sängerdarsteller ist, der in seine Rollen hineinschlüpft und deren Gefühle wahrhaftig durchlebt. Mit subtilem Schwanken sieht man den trunkenen Turridu, auf dem Gesicht des Sängers sind die Gefühle im Wechsel zwischen schmerzlicher Bitte, Melancholie und aufblitzender Hoffnung zu erkennen. Auch gesanglich bietet Kaufmann das ganze Wechselbad der Gefühle dar, er hält nichts zurück, gibt alles.
Besonders bemerkenswert ist, dass der Sänger in dieser Marathon-Serie der Konzertabende kein Sparprogramm fährt, auch wenn er sicherlich seine Kräfte klug einteilt, sondern für sein Publikum in diesem Moment sein Bestes gibt. Der emotionale Funke springt vollends über und Kaufmann wird mit enthusiastischem Applaus belohnt.
Die Stimmung bleibt italienisch in den folgenden Stücken von Nino Rota, der sich vor allem als Komponist von Filmmusiken einen Namen gemacht hat. In La strada, Orchestersuite: 1. Nozze in campagna – »È arrivato Zampanò« und Orchestersuite: 2. I tre suonatori e il »Matto« sul filo lassen die Philharmoniker die Welt der Schausteller lebendig werden, mit Witz und Melancholie.
Das große musikalische Finale bietet die Capriccio italien op. 45 von Peter Tschaikowsky. Der Komponist verbrachte den Winter 1879/80 in Rom und beobachtete mit Vorliebe das bunte Treiben der Menschen auf den Straßen und Plätzen der ewigen Stadt. Besonders beeindruckt haben ihn die Natürlichkeit und Fröhlichkeit der Römer. Diese Eindrücke hat er in sein Orchesterstück einfließen lassen. Während Kirill Petrenko geradezu auf seinem Podest tanzt, zeigen die Berliner Philharmoniker ihr ganzes Können und man fühlt sich auf ein Volksfest ins bella Italia versetzt. Das Tamburin klingt volkstümlich und greift traditionelles Liedgut auf. Wenn ein musikalisches Thema wie in einer La-Ola-Welle von den Kontrabässen ganz rechts durch das ganze Orchester wogt und im Rund letztlich die ersten Geigen ganz links erreicht, wird man auf diesem Strom mitgetragen. Der musikalische Hochgenuss wird vom Publikum mit großem Jubel gefeiert.
Weil man gar nicht möchte, dass der Abend endet, schenkt JonasKaufmann dem Publikum noch mit Parla più piano von Nino Rota eine Zugabe mit viel italienischem Flair. Den temperamentvollen Abschluss geben die Philharmoniker mit der Tarantella von Dmitri Schostakowitsch.
Das grandiose Konzert kann auch im Nachhinein noch genossen werden, denn die Darbietung vom 31.12.2022 wurde aufgezeichnet und kann hier angeschaut werden: