Mias Blog-Adventkalender 2017 – Türchen 8

Herzlich Willkommen bei der Fortsetzungsgeschichte von Mias Wortgeschenk-Adventskalender. Im Folgenden stammt alles kursiv Gedruckte von meinen Vorgängerinnen, der letzte Absatz von mir. Viel Spaß beim Lesen und eine schöne Adventszeit wünsche ich euch!

Sie lag auf dem Rücken im warmen Wasser des Außenbeckens im Solebad. Sie spürte das Wasser, das sie trug und blickte entspannt in den Nachthimmel. Der Mond erzählte ihr die Geschichte des Tages. Seine Sicht war eine völlig andere als ihre. Seine Geschichte gefiel ihr besser und als er geendet hatte, sah sie, wie etwas vom Mond herunter direkt neben ihr ins Wasser plumpste.

Es glitzerte wunderschön und ohne nachzudenken, streckte sie die Hand aus, um es zu erhaschen. Aber sie war zu langsam, hatte wohl doch einen Moment gezögert. Das Ding rutschte zwischen ihren Fingern hindurch und sank auf den Boden des gekachelten Schwimmbades. Da lag es nun. Ein schwaches Leuchten drang zu ihr herauf. Wie sollte sie an das Ding herankommen. Wenn sie eines hasste, dann war es das Untertauchen. Schon allein die Vorstellung, mit dem Gesicht unter Wasser zu müssen, jagte ihr trotz der Wärme des Solewassers eine Gänsehaut über den Rücken.

An Entspannung war nun nicht mehr zu denken. Wie sollte sie an das matt leuchtende Etwas herankommen, das zu packen sie um Haaresbreite verfehlt hatte? Sie schaute sich suchend um, als gäbe es irgendwo im Außen eine Lösung zu entdecken. Bei aller Anspannung zwang sie sich zur Ruhe und schloss noch einmal die Augen; da fiel ihr ein, wie es gehen könnte.

Sie dachte an Erik, den Bademeister, der ihr vor zehn Jahren in genau diesem Schwimmbad zum ersten Mal begegnet war – einen verträumten jungen Mann mit kurzen, glatt gekämmten dunklen Haaren, stets mit einem Buch vor der Nase, der sie erstaunt und an Paul Celan erinnert hatte. Damals saß er am Beckenrand auf einem dieser weißen Plastikstühle, die auch ein Solebad seinen Aufpassern zur Verfügung stellte und las in einem zerfledderten Taschenbuch, offensichtlich absorbiert von der Geschichte aus einer anderen Welt. Zunächst hatte sie sich nicht getraut, ihn anzusprechen, denn es schien ihr, als säße er inmitten einer Glocke aus flirrenden und tanzenden #Satzfragmenten, die sie nicht zu durchbrechen wagte. Doch ihr war der Lieblingsring ihrer Großtante beim Schwimmen abhanden gekommen, das kostbarste Etwas, das sie besaß und sie hatte Angst gehabt, danach zu tauchen. „Entschuldigen Sie, bitte, aber ich habe etwas sehr Wertvolles im Becken verloren, könnten Sie mir vielleicht bei der Suche behilflich sein?

Erik schüttelte sich kurz, blickte sie mit verklärten Augen an, zögerte danach keine Sekunde und sprang.

Natürlich war kein Erik in der Nähe. Bestimmt war er längst seinen Träumen hinterhergereist. Als sie sich hilfesuchend umschaute, vermieden die anderen Gäste jeglichen Blickkontakt. Und die aufsichtführende Bademeisterin war gerade mit einigen Kindern beschäftigt, die albernd und viel zu schnell über die glatten Kacheln geflitzt waren. Ihre Super-Idee verflüchtigte sich im Nebel des salzigen Wasserdampfes.

Sie sah mit nachdenklichem Blick über die erneut von Sprudeldüsen in Bewegung gebrachte Wasserfläche, da kam ihr just das Ende eines Gedichtes in den Sinn. Verfasst von dem Lyriker Celan, an den sie damals Erik erinnert hatte.

… ein Wort zu dem du herabbrennst‘. Aus ‚Feuer und Wasser‘. Das konnte kein Zufall sein.

Oder doch? Es war jetzt keine Zeit, um lange nachzudenken, schon gar nicht über dieses Gedicht, das sie seit jenem Morgen begleitet, als es eine Mitschülerin vor dem Unterricht an die Tafel schrieb. Obwohl, dieses Gedicht…, konnte es ihr gerade jetzt nützlich sein? Sie blickte auf das leuchtende Ding unter Wasser und dann lächelnd hoch zu ihrem heimlichen Verbündeten, dem Mond. Plötzlich wusste sie, was zu tun war.

Natürlich war es riskant, ihren Posten zu verlassen. Aber sie musste etwas riskieren, wenn sie erfahren wollte, wenn sie überhaupt eine Chance haben wollte zu erfahren, was da auf dem Schwimmbadboden glitzerte. Betont lässig schwamm sie zum Glastunnel, der das Außen- mit dem Innenbecken verband, lächelte dem alten Herrn zu, der ihr entgegenkam. Mit fünf Stößen durchquerte sie den Tunnel und kletterte gleich am ersten Ausstieg aus dem Wasser. Sie lief zu ihrer Liege, streifte sich noch tropfnass ihren roten Bademantel über und kramte in ihrer Tasche.

Ihre Hand umfasste die Taucherbrille, die sie seit Jahren in ihrer Bademanteltasche trug, obwohl sie niemals tauchte. Sie schob die getönten Kunststofflinsen über ihre Augen und das Gummiband kniff in ihren Hinterkopf. Nun sah ihr die Welt in weichen Grüntönen entgegen, eine Welt, in der sie ihren Bademantel wieder abstreifen und zurück ins Außenbecken schwimmen konnte und ihr Gesicht wieder dem lockenden Leuchten vom Beckengrund zuneigte. Doch niemals würde sie es über sich bringen, ihren Kopf unter Wasser zu tauchen. Da sauste ein grün glühender Pfeil aus den Weiten des Sternenzelts herab und landete zischend im Wasser neben ihr und nun kam planschend das Köpfchen seines kleinen Passagiers an die Oberfläche.

สวัสดีตอนค่ำ“, sagte das Universalpferdchen mit heller Stimme,  „ich heiße Wunschwort – und wer bist du?“

>> Wie es weiter geht, erfahrt ihr morgen hinter Türchen 9 bei Urs.

Am 7. Tag im National Novel Writing Month

Der November ist in den USA „National Novel Writing Month“ (NaNoWriMo) und alljährlich begeben sich dort und überall auf der Welt schreibbegeisterte Menschen auf einen Schreibmarathon.

Die Herausforderung: 50.000 Wörter in 30 Tagen schreiben. Das bedeutet ein tägliches Pensum von 1.667 Wörtern (rund 3 Seiten). Jeder, der die Ziellinie am 30. November um 23:59 Uhr mit mindestens fünfzigtausend Wörtern überschreitet, ist ein Sieger. Ein beinahe olympisches Motto.

In diesem Jahr bin ich zum ersten Mal mit dabei. Anfang des Jahres war mir in der Bibliothek der ASH im Regal für kreatives Schreiben das Buch „No plot, no problem“ von Chris Baty, der diese kreative „challenge“ im Jahr 1999 ins Leben gerufen hat, in die Hände gefallen. Das Buch ist witzig geschrieben und hat mir Lust auf das Schreibprojekt gemacht.

Der Amerikanische Traum glimmt noch irgendwo in den Sternen: Du kannst alles schaffen, wenn du es nur willst!

1. November:

Alles ist bereit, ich habe am Vorabend meinen Account auf der offiziellen Website angelegt, meinen Roman angekündigt und sogar ein Titelbild für mein Werk hochgeladen (das erhöht angeblich meine Erfolgschancen um 60 %).

Der Startschuss ist gefallen und verhallt. Ich schleiche den ganzen Tag um mein Notebook herum und mache es vorsichtshalber gar nicht erst an. Einkäufe erledigen und putzen schienen mir noch nie so wichtig. Zweifel überfallen mich. Gut, dass ich noch fast niemandem von meinem utopischen Plan erzählt habe. Eine Idee für meinen Roman hätte ich ja schon, aber…

Um 20 Uhr abends packt mich dann eine Art „alles egal“-Stimmung, ich setze mich vor den Computer und fange an zu tippen.

Ich erzähle (aus der auktorialen Perspektive) die Geburt meiner Protagonistin, die mit krebsroter Haut und Schwimmhäuten zwischen den Zehen zur Welt kommt und nicht weinen kann – was das Neugeborene ihren Eltern ziemlich unheimlich macht.

Um 23 Uhr habe ich stolze 2.153 Wörter geschrieben. Okay, das war gar nicht so schlimm und ist vielleicht an anderen Tagen wiederholbar, denke ich.

Also verkünde ich mein Projekt gleich noch auf meiner facebook-Seite, damit ich morgen nicht einfach einen Rückzieher mache.

Mein Roman-Konzept ist, dass ich die Geschichte meiner Hauptfigur durch Blitzlichter auf 30 Tage aus ihrem Leben vom Tag ihrer Geburt (1980) bis in die Gegenwart erzählen möchte.

Die Idee zu diesem Aufbau scheint durch die Wettbewerbsvorgaben begünstigt. Aber ich bin hierzu auch inspiriert von einer Erzählung von Émile Zola („Die vier Tage des Jean Gourdon“), die ich kürzlich als Audiobuch gehört habe. Hier wird sehr fesselnd die Lebensgeschichte eines Mannes durch die Schilderung von 4 Tagen aus seinem Leben gezeichnet (Jugend im Frühling: erster Kuss; Soldat im Sommer: Mut beweisen und zum Mann werden; Vater werden im Herbst: die Ernte eines erfüllten Lebens einfahren; Sturmflut im Winter: Verlust und Tod erfahren).

In meiner Geschichte möchte ich eines meiner Lieblingsgenres aufgreifen: Das Märchen.

Meine Heldin heißt Elise und wird als Menschenkind geboren, ist aber in Wirklichkeit ein Wesen aus einer anderen Welt (sie ist ein Wesen des Wassers und in mancher Hinsicht eine Nachfahrin der „Kleinen Mehrjungfrau“) mit besonderen Gaben. Ihre Aufgabe ist es, den Menschen auf bestimmte Weise zu dienen. Elise hat keine Seele und keine eigenen Wünsche. So wird es ihr jedenfalls gesagt. Aber das stimmt in ihrem Fall nicht. Und hier kommt dann die Liebe ins Spiel…

Nach jedem Gebrauch ihrer Fähigkeit färbt sich ihre Haut rot (was sie auch zu einer Außenseiterin unter den Menschen macht) und sie verliert Stück für Stück ihre Lebenszeit.

In der Geschichte tauchen noch andere Märchenwesen auf, zum Beispiel der Spielmann, der blinde Maler und die Weidenfrau.

Mir fehlen irgendwie noch starke Antagonisten, denn ohne Bösewichte keine Spannung. Allerdings hat die Protagonistin auch mit allerlei menschlichen Schwierigkeiten zu kämpfen und nicht zuletzt gegen die Auslöschung ihrer Existenz.

Für das Geschichtenerzählen ist Michael Ende ein großes Vorbild für mich. „Momo“ und „Die unendliche Geschichte“ gehören seit Jugendtagen zu meinen Lieblingsbüchern.

3. November

Ich gebe meine „Planung-blockiert-mich-nur-Haltung“ auf und lege einen Notizzettel für Schlüsselmoment an (bis jetzt habe ich aber nur 14 davon) und außerdem eine kleine Familienchronik, wo ich Geburtsjahre z.B. für die Großtanten von Elise festlege, damit ich auch weiß, wie alt die Damen im Jahr 1983 sind (dazu brauche ich einen Taschenrechner).

Ansonsten geht mein Konzept, an jedem Tag über ein Schlüsselereignis zu schreiben, ganz gut auf und ich liege gut im Wörterschnitt (ca. 2.000 / Tag).

7. November

Langsam werde ich nervös, weil ich befürchte, die Geschichte plätschert zu sehr vor sich hin. Vorgestern habe ich eine halbe Seite lang beschrieben, wie Elise mit den Großtanten ihren Schulranzen aussucht. Aber ich habe bisher nur Kurzgeschichten geschrieben und muss mich erst an ein gemächlicheres Erzähltempo gewöhnen.

In diesen Momenten denke ich an Tolkien, der im Prolog von „Der Herr der Ringe – die Gefährten“ ein ganzes Kapitel dem Pfeifenkraut der Hobbits widmet. Zwar wird mein Roman nicht solch ein Epos, aber ein bisschen Ausschweifung darf ruhig sein – auch ohne Drogen. Da fällt mir doch gleich dieser Pilz ein, der mir auf meinen Inspirationsspaziergängen ins Auge gefallen ist und der mir total märchenhaft vorkommt. Vielleicht kann er giftig sprechen, ist vielleicht ein lügendes Orakel…

Außerdem ist alles, was ich schreibe, eh nur ein erster Entwurf.

Leider muss ich feststellen, dass mein Schreibfluss jeden Tag langsamer wird, weil ich mehr über dem Text grübele und an Formulierungen herumdoktere. Den inneren Kritiker muss ich unbedingt wieder in den Urlaub schicken.

Am Ende einer jeden Schreibeinheit gebe ich meinen neuen totalen „wordcount“ auf der Website in meine Statistik ein und bekomme ein sehr aufmunterndes Pfeildiagramm präsentiert.

Die 10.000 Wörter-Badge habe ich schon erworben.

Hier als kleiner Teaser meine bisherigen Kapitelüberschriften:

Tag 1: Eintritt in die Welt

Tag 2: Weinen lernen

Tag 3: Puppenspiele

Tag 4: Im Schrank einer Königin

Tag 5: Der erste Schultag

Tag 6: Ein gebrochenes Herz

So, jetzt muss ich einen neuen Tag für meine Märchenheldin erschaffen, denn nur ein gewisser anderer Schöpfer darf am 7. Tage ruhen.

Ich werde euch auf dem Laufenden halten.

Übrigens freut es mich sehr, dass zwei meiner Wortschwestern aus BKS11  Mia und Miss Novice auch unter den NaNoWriMo-Schreibenden sind. Schreibleine los und Ahoi!

Epilog: Ode an die Sonne

Ich hatte viel Spaß bei meinen Entdeckungstouren durch die Gärten von Berlin und London und freue mich, dass ihr mich begleitet habt!

Der Sommer ist nun endgültig vorbei und meine 2. Blog-Saison verabschiedet sich. Wer weiß, was die Winter-Saison noch hervorbringen wird.

Und im Frühling wird es ganz bestimmt wieder grün.

Meine Sonnenblumen möchten sich noch zu Wort melden mit einer

Ode an die Sonne

Du bist das Zentrum

um das wir kreisen

Du lockst uns aus dunkler Tiefe

mit deinem warmen Hauch

wir strecken uns nach Dir

sehnen uns nach Deinem Blick

wir trinken Dein Lächeln

wanken wir auch im Sturm

spüren wir dich hinter Wolken

bist Du uns auch abgewandt

in schwarzer kalter Nacht

vertrauen wir auf deine Wiederkehr

umschirmt in grüner Knospenkammer

weben wir Fäden deines Glanzes

erblühen im schönsten gelben Kleide

als Nachleuchten deines Sommers

Oh Sonne, wir preisen Dich!

Noch ganz grün hinter den Ohren (4. Juli)
Kindheit (7. August)
Die ERSTE Blüte (3. Oktober)

Sturm-und-Drang-Phase unter dem Einfluss von Orkan Xavier (5. Oktober),       die größte und stärkste Blume knickt um.

Nach stürmischen Zeiten öffnen sich weitere Blüten (7. Oktober)
Noch hübsch verpackt (16. Oktober)
Zaghaft ans Licht (16. Oktober)
Sechs Blüten zeigen ihre Schönheit (24. Oktober)
Erinnerung an den Sommer (24. Oktober)

Am Sonntagmittag (29. Oktober) ist Sturm Herwart weiter gezogen und lässt  4 umgeknickte Sonnenblumen in seiner Spur zurück.

Vergänglichkeit ist Teil der Natur. Aber auch die Wiederkehr.

 

Blogparade #BKS11: Wenn ich mir was wünschen dürfte

Der #BKS11 tut es wieder: Nach der Blogparade zum Thema Digitale Einsamkeit nun eine zu „Wenn ich mir was wünschen dürfte…“ im Rahmen des Moduls Lyrik.  Hier geht es zum Gastgeber der #Blogparade.

Mein Beitrag:

wunschfrei

Das Menschlein rief in Pein

bin schlimm dran, ich armes Schwein

habe tausend Wünsche, nichts ist mein

niemals werde ich zufrieden sein

 

Da trat vor ihn eine Fee mit Schwung

wirst alles bekommen, bist noch jung

sag’s nur laut und aus voller Lung‘

folgt auf’s Wort der Wunsch dir zur Erfüllung

 

Das Menschlein rief laut und im Nu

kalte Füße hab ich und Steine im Schuh

kein bisschen Gold steckt in meiner Truh

weder Wein noch Weib wärmen meine Ruh

 

Da tat die Fee ihren Zauber als willige Fron

in samtwarmen Pantoffeln schritt er schon

was er auch anfing, bescherte ihm reichen Lohn

fand Rausch und Braut, hatte bald einen Sohn

 

Und wieder rief das Menschlein in Pein

bin schlimmer dran, ich ärmstes Schwein

habe keine Wünsche mehr, alles ist mein

niemals werde ich zufrieden sein

 

Viel Vergnügen wünsche ich euch auch mit den anderen Beiträge der Blogparade:

Nichts von alledem von Urs Küenzi

wünschen von Mia Nachtschreiberin

Nur ein Wort von Miss Novice

wünsche im stillen von Hedda Lenz

Küchenfees Wunschtraum von Küchenmarie

Wenn ich mir was wünschen dürfte von Doris / Meine Sicht der Welt

Wunschfrei von Christiane / Der Raum in mir

Der gesuchte Wunsch von Ekatarina Glowna

wünschen und erfüllen von Sabine Marx

Ein Tag am Meer von Mo…Saiks Runen

Folge 7: Park Babelsberg – Fürst Pückler versetzt Bäume und bringt Eiscreme in Mode

STANDORT UND BODENVERHÄLTNISSE

An diesem spätsommerlichen Sonntag flaniere ich unter säuselnden Bäumen den geschwungenen Weg an der blau glitzernden Havel entlang Richtung Schloss Babelsberg – die gleiche Idee hatten heute auch hunderte andere Ausflügler.

Fast schüchtern lugt schließlich hell strahlend das neugotische Schloss zwischen Baum und Strauch hervor – aber damit endet die Bescheidenheit auch. Heute will ich mich auf die Spuren von demjenigen begeben, der den Schlosspark maßgeblich gestaltet hat.

Darf ich vorstellen: Hermann Ludwig Heinrich Fürst von Pückler-Muskau (1785-1871) – ich werde ich entgegen der Etikette fortan einfach Fürst Pückler nennen.

Heute ist der letzte Tag der Sonderveranstaltung im Schloss von Wilhelm I. und Augusta (Deutsches Kaiserpaar und Königspaar von Preußen). Nur heute noch öffnen sich exklusiv die Tore ins unsanierte Innenreich für geladene Gäste – zwar habe ich keinen Adelstitel, konnte mir aber durch einen monetären Beitrag dieses Privileg schon am Vorabend dank besonderer Verbindungen sichern (über Gräfin DSL – sie geht in direkter Linie auf Tele Comptesse zurück).

PROBIEREN GEHT ÜBER PIKIEREN

Um das Schloss hat sich ein ganzer Hofstaat von Parkbewunderern eingefunden, die nun in der Sonne sitzen und standesgemäß Bratwürste und Fürst-Pückler-Eis zu sich nehmen.

Meine Audienz im Schloss ist laut Einladung auf 16:10 Uhr festgelegt. Bis dahin habe ich noch genügend Zeit, die „Plaisure Grounds“ zu bewundern.

BLICKFANG

Direkt vor dem Fenster von Königin Augustas Salon entfaltet sich das Landschaftsgemälde, das Fürst Pückler ihr zu Gefallen entworfen hat. Das opulente Schmuckstück ist die güldene Blumenfontäne auf der Terrasse. Gold wohin ich schaue, sogar zur Begrenzung der Beete.

Die goldene Terrasse mit Blumenfontäne

Den Park auf dem trockenen Sandhügel hatte bereits Peter Joseph Lenné (Generaldirektor der preußischen Gärten) angelegt, sein Wegesystem ist heute noch erhalten, aber wegen Trockenheit gingen die Bäume ebenso wie die Laune der Auftraggeber ein.

Dann schlug 1842 die Stunde für den charmanten Lebemann und chronisch verschuldeten Fürsten Pückler, sich mit seinem Gartenhobby in den Dunst- und Gunstbereich des preußischen Hofs zu begeben.

Fürst Pückler war auf seinen vielen Reisen auch einige Zeit in England und Schottland unterwegs gewesen und hielt seine Eindrücke im Lehrbuch „Andeutungen über Landschaftsgärtnerei“ (1834) fest. Dem englischen Gartenvorbild nacheifernd machte sich Fürst Pückler in Babelsberg ans Werk.

Auf meinem Rundgang durch den Babelsberger Schlosspark begleitet mich das Lebenselixier der Anlage – nämlich das Wasser.

Nicht nur optisch sorgen künstliche Wasserläufe und ein alpin anmutender Wasserfall für lebendige Atmosphäre, sondern auch ganz pragmatisch war die Bewässerung des Parks von existenzieller Bedeutung.

Mithilfe eines Dampfmaschinenhauses wurde das Wasser aus der Havel in einem Rohrleitungssystem in alle Winkel der Grünanlage geleitet.

Dampfmaschinenhaus (1843-44)
Künstlicher See

Ein wichtiges Gestaltungsmittel für den Park waren die Bäume, die in kunstvoller Formation zu Blickachsen gepflanzt wurden und gotischen Arkaden gleichen sollten.

Aber Fürst Pückler war kein Mann von Geduld und er schwelgte in Dramatik – und als er in England zum ersten Mal eine „tree machine“ sah, wusste er, dass er selbst auch einmal Bäume versetzen würde – wobei er die Erfindung der Baumpflanzmaschine natürlich für sich beanspruchte. Und so geschah es im Park Babelsberg.

Anstatt Jungbäume zu pflanzen, grub Pückler einfach riesige Bäume aus der (weiten) Umgebung aus, lud sie auf den Verpflanzungskarren und ließ sie nach Babelsberg schleppen. Hier wurden die Baumriesen dann zusammen mit Tierkadavern (als Dünger) wieder im Boden versenkt. Wie zum Beispiel die Pyramideneichen, die heute noch im Park stehen (fragt mich aber nicht, welche das sind).

Je näher man wieder dem Schloss kommt, desto lieblicher und exotischer werden die Pflanzen und Blumen.

Mein Lieblingsort ist dieses Fest der Farben.

Nun ist es soweit – meine Audienz bricht an. Auch im Innern des Schlosses kann ich die Schönheit des Gartens genießen – und die Fenster rahmen die Landschaft wirklich wie ein Gemälde ein. Wer schaut da schon auf den bröckelnden Putz an der Decke.

Das Herzstück ist der kathedralenartige Raum mit dem gedeckten Tisch – Macht und Pracht werden in Speisen zelebriert (zu gerne würde ich einmal kosten, aber dafür reicht mein Titel nicht aus).

An höfischer Tafel steht der Nachtisch schon zu Beginn als Augenschmaus auf dem Tisch – nur das Sorbet wird nachgeliefert – nämlich von dutzenden von Dienern über einen 300 Meter langen Tunnel aus dem Küchentrakt. Dort befindet sich auch der Eiskeller. Im Winter wurden Eisschollen aus gefrorenen Gewässern gesägt und dort eingelagert. Dank dieses Reservoirs konnte die Hofküche fast ganzjährig Eisleckereien zubereiten.

Ja, und nun sind wir endlich bei der Eiscreme angekommen. Wer von uns kennt nicht das Fürst-Pückler-Eis? Schokolade, Vanille und Erdbeere in sahniger Schichtung.

Wen wundert es noch, dass Fürst Pückler gar nicht der Erfinder dieser Eiskreation war. Fremde Federn stehen ihm auch gut.

Es war der Königlich-Preußische Hofkoch Louis Ferdinand Jungius, der Pückler 1839 in seinem Kochbuch ein dreischichtiges Sahneeis widmete. Hierfür verleihe ich kraft meiner blassblütigen Blog-Würden dem Erfinder Jungius das zuckrige Verdienstkreuz. Hipp hipp hurra!

Fürst Pückler ist ja schon für seine Gartenbaudienste ausreichend von Wilhelm I. und Augusta dekoriert worden.

LITERARISCHE ERNTE

„Alles beinah schafft Geld und Macht, aber kein Crösus und kein Alexander vermögen die tausendjährige Eiche in ihrer Majestät wieder herzustellen, wenn sie einmal gefällt ist… dennoch aber weiche das Einzelne, wo es Not ist, auch hier dem Ganzen.“

Hermann Ludwig Heinrich Fürst von Pückler-Muskau

„Wenn der Park eine zusammengezogene idealisierte Natur ist, so ist der Garten eine ausgedehntere Wohnung.“

Hermann Ludwig Heinrich Fürst von Pückler-Muskau

AM WEGESRAND

Zurück in meinem bürgerlichen Domizil lasse ich meinen Blick über meine Felder schweifen. Meine Radieschen brauchen noch ein wenig Sonne. Vor Kurzem habe ich eine Knolle zur Probe geerntet – klein aber fein!

Fürst Pückler hat mir geraten, größere Exemplare im Nachbarhof Edeka (abstammend von Kaisers) zu erwerben und in meine Erde einzupflanzen. Gibt es eigentlich schon Fürst-Pückler-Riesen-Radieschen?

Arabella-Radieschen-Mini

Folge 6: Infarm am Görli – Salat aus der Vitrine und (keine) Äpfel ohne Sündenfall

STANDORT UND BODENVERHÄLTNISSE

Sturm und Regen haben das Regiment übernommen und die Natur verliert ihr grünes Kleid. Die Ernte ist eingefahren und die Gärten werden winterfest gemacht. Wo finde ich jetzt noch grünes Sprießen?

PROBIEREN GEHT ÜBER PIKIEREN

In Kreuzberg ticken die Uhren anders. Hier wachsen ganzjährig Salatköpfe in Vitrinen. Vertikales Indoor-Farming. Ein Projekt von zwei Brüdern aus Israel: Hier wächst seit 2014 Gemüse ohne Sonne und Erde, dafür mit LED-Licht, Kokosfasernährboden und ein wenig Wasser. Eine alternative und umweltfreundliche Nahrungsmittelproduktion mitten in der Großstadt mit kurzen Transportwegen zum Verbraucher. Das muss ich mir ansehen!

BLICKFANG

Aber wo versteckt sich das einfallsreiche Start-Up-Unternehmen? Es ist nicht infam zu behaupten, dass INFARM ein Geheimtipp ist. Ich streife die Glogauer Straße am Görlitzer Park entlang und suche nach ihrem Firmenschild.

Im Internet war von einem Hinterhof die Rede, auch von einem Café, in dem man an den Inkubations-Salatblättern knabbern kann. Ich schaue in jede Toreinfahrt – und davon gibt es hier echt viele. Hausnummern – Fehlanzeige.

Also frage ich zwei rauchende junge Männer vor einem Lokal. Infarm haben sie noch nie gehört. Aber Hausnummer 6 müsste dort entlang sein. Also gehe ich hinein, komme durch 2 Hinterhöfe, roter Backstein und schwarze Metallfenster stehen mir abweisend vor Augen. Ich biege um eine Kurve und – tatsächlich, dort sehe ich wie eine Fata Morgana rosa Licht über Grünzeug hinter Glas hervor schimmern. Und dann entdecke ich neben der kleinen Eingangspforte auch ein dezentes Firmenschild.

Ich trete ein und bin in einen großen Raum. An einem lang gestreckten Holztisch mit Bänken davor sitzen eifrige Leute über winzige Notebooks gebeugt, ganz vertieft in ihre Arbeit. Einer macht gerade (Nach-) Mittagspause und isst vom selben Tisch, ein anderen sitzt mit seinem Notebook auf dem Schoß in einer Fensternische. Hier bestellen Pflanzenforscher,  IT-Spezialisten und Zukunftsdesigner ihren Hightech-Acker.

Wie zur Inspiration wuchern unter Rosalicht an der Wand in gewählter Ordnung allerlei Pflanzen (die ich leider auf die Schnelle nicht botanisch einordnen kann).

Ein junger Mann kommt auf mich zu (nach dem Foto aus dem Internet vermute ich, dass es Guy Galonska ist, einer der Gründer), ich erkläre ihm mein Interesse für Gärten und Grünanbau in Berlin. Das Café gibt es leider nicht mehr, hier ist nur der Arbeitsort, sagt er mir freundlich auf Englisch. Ja, ein paar Fotos dürfe ich machen, müsse aber später die Erlaubnis für die Veröffentlichung einholen. Offizielle Fotos könnt ihr hier ansehen.

Damit hat sich das Gespräch für seinen Geschmack erschöpft und er geht. Ich schaue mich noch kurz um, aber zu den Brutkästen im anderen Raum kann ich wohl nicht einfach so gehen. Dann muss eben ein Foto von außen durch die Scheibe reichen.

Die Erzeugnisse von Infarm kann man im Restaurant Good Bank probieren. Das mache ich demnächst auf jeden Fall.

LITERARISCHE ERNTE

Fünf Köpfe bringen einen guten Salat zustande:
Ein Geizhals, der den Essig träufelt,
ein Verschwender, der das Öl gibt,
ein Weiser, der die Kräuter sammelt,
ein Narr, der sie durcheinander rüttelt,
ein Künstler, der den Salat serviert.

Jean Anthelme Brillat-Savarin (1755 – 1826), französischer Schriftsteller, Jurist und Gastronom, Lehrbuch der Gastronomie und Tafelfreuden

AM WEGESRAND

Auf dem Weg zur U-Bahn durchwandere ich den „Görli“ – aber so nett, wie dieser Kosename klingt, ist der Park nicht. Entlang des Zauns auf dem Außengehweg lungern überall Gestalten herum. Auf dem tunnelartigen Zuweg in den Park muss ich an einer Gruppe junger Männer vorbei, die hier Spalier stehen. Alle paar Meter werde ich angesprochen („Wie geht’s“ und „schöne Haare“), ich bin mir nicht sicher, was außer Drogen hier sonst noch angeboten wird. Ich fühle mich sehr unwohl.

Endlich komme ich vom baumbeschatteten „Randgebiet“ des Parks weg. Eine große, sonnenbeschienene Wiese liegt als Mittelstreifen wie eine harmlose Insel zwischen den umgebenden Schattenwelten. Hier sind Spaziergänger, Sportler und viele Kinder mit Begleitpersonen unterwegs. Ich komme an einigen Spielanlagen und sogar einem kleinen Zoo mit Ziegen vorbei.

Der Grund für meinen Besuch sind jedoch die Apfelbäume eines engagierten Bürgerprojekts. Ihr Ziel ist es, den Görlitzer Park vom Drogen-Dorado in einen Gemeinschaftsgarten für die ganze Nachbarschaft zu verwandeln.

Schließlich finde ich auch die Obstbäume, leider sind die Früchte schon geerntet. Das Schild der Baumpflanzer ist mit Graffiti beschmiert, aber die jungen Bäume sind scheinbar unversehrt.

Ein Paradies nach dem Sündenfall?

Der Park mit seinen finsteren Ecken und Lichtblicken hinterlässt einen sehr zwiespältigen Eindruck bei mir.

BiU-topia nach Ende der großen Koalition?

Graue (oder besser gesagt: braune) Stimmung am Montag nach der Wahl. Jetzt ist es Nachmittag und ich gehe nach meinen Sonnenblumen schauen – denn immerhin werden sie bald vom Plakatschatten befreit. Ich denke daran, ein Schild zu ihrem Schutz mit der Bitte um Rücksichtnahme aufzustellen.

Beim Gießen am 18.09.2017

Ich biege um die Kurve und traue meinen Augen nicht: Gähnende Leere auf dem Rondell – das Riesenplakat ist schon weg!

Heute

Ich eile näher – und atme auf – die duldsamen Blumen stehen noch. Allerdings hat es schon wieder die 2 armen Randsteher mit größter Nähe zum Aufsteller getroffen – trotz unübersehbarer Stütze durch zwei Stöcke sind sie von den Plakatabbauern (ob externe Firma oder CDU-ler weiß ich nicht) rücksichtslos niedergetrampelt.

Aber das kennen sie ja schon. Und sie sind wahre Stehauf-Blumen. Ich bohre die Stützstöcke wieder in den sandigen Boden, richte die langen Zarthälse auf und befestige sie mit Grasband an ihren hölzernen Partnern.

Bei meiner 1. Hilfestellung am 10.09.2017
Zu Zeiten der „Großen Koalition“

Die eine Niedergetretene hat nach meiner Aufstehhilfe noch ein geneigtes Köpfchen, aber das wird schon wieder.

Trotz Schatten und kühler Witterung haben die Sonnenblumen in den letzten Wochen einige Knospen hervorgebracht. Selbst die Kleinsten unter ihnen streben ihrer Bestimmung zu.

Die Größte ist mir schon über den Kopf gewachsen.

Die Älteste zeigt schon fast ihr schönes gelbes Blütenkleid.

Jetzt, wo ihre unfreiwillige große Koalition mit dem CDU-Vertreter und mit den Cannabis-Aktivisten in der Opposition beendet ist, kommen sie wieder in den Genuss der Morgen- und Mittagssonne und weniger Fußverkehr.

Wenn ich mir das Rondell so anschaue, sieht es halb wie ein Kuchendiagramm aus. Die Machtverhältnisse und Sitzverteilung in diesem Parlament scheint sich zugunsten der Sonnenblumen verbessert zu haben. Nur wer wird den frei geräumten Raum des Plakats einnehmen? An dieser Stelle kann jetzt jedes („alternative“) Kraut wuchern…

Aber im tiefsten Herzen bin ich doch eine Träumerin und möchte das Rondell – jetzt wo es vom Polit-Schatten befreit ist – umwidmen in eine utopische Insel. Eine Insel der Fantasie.

Mir kommen die Textzeilen aus einer meiner Lieblingsopern – „Don Quichotte“ von Jules Massenet – in den Sinn: Im Sterben liegend macht Don Quijote seinem treuen Gefährten Sancho Panza ein besonderes Geschenk. Zu Beginn ihrer gemeinsamen Reise und ihrer Abenteuer hatte Don Quijote seinem Begleiter als Belohnung eine eigene Insel versprochen.

DON QUICHOTTE
richtet sich mit übermenschlicher Anstrengung auf
Ja! ich war der erste derer, die Gutes säten!
Ich habe für das Recht gekämpft,
ich habe einen guten Krieg geführt!
er fällt zurück… ringt nach Luft
Ach! Sancho…
Sancho, ich habe dir einst
grüne Hügel, Burgen versprochen,
sogar eine blühende Insel…

SANCHO
Es war nur ein Inselchen,
was ich haben wollte!

DON QUICHOTTE
Nimm deine Insel,
denn es liegt immer noch in meiner Macht,
sie dir zu schenken!
Tiefblaue Wellen brechen sich an ihren Ufern,
sie ist schön, freundlich…
und es ist die Insel der Träume!

DON QUICHOTTE
„Prends cette île qu’il est toujours en mon pouvoir
De te donner!
Un flot azuré bat ses grèves…
Elle est belle, plaisante? et c’est l’île des Rêves!

Und hier ein kleiner Eindruck mit Bild und Ton (Ferruccio Furlanetto als Don Quichotte).

Folge 5: Prinzessinnengärten – Kartoffeln sind aus, Touristen sind in

STANDORT UND BODENVERHÄLTNISSE

Ich steige aus der U-Bahn die Stufen hoch zum Moritzplatz in Kreuzberg und freue mich schon auf ein lauschiges Gartenerlebnis zwischen Grünzeug und mit leckeren Kartoffel-Gerichten. In den Prinzessinnengärten soll es heute ein Kartoffelfest geben, über facebook haben sie dazu eingeladen.

Zu launenhafter Nachmittagssonne dröhnt mir Techno-Musik entgegen, Polizeiautos, Absperrungen und ja, eine Demo mit Fußläufern und Wagen. Irgend eine politische Botschaft steht auf ihren Bannern, aber hauptsächlich scheint mir die Gruppe für hemmungslosen Lärm zu demonstrieren.

Zum Glück sind es vom U-Bahn-Ausstieg nur wenige Schritte auf der Prinzenstraße und ich kann mich durch die pinke Türöffnung eines umwucherten Rapunzel-Zauns in die Grünoase retten.

PROBIEREN GEHT ÜBER PIKIEREN

Ja, auch hier brummt das Leben. Jede Menge Neugierige spazieren auf den Schotterwegen zwischen den hölzernen Hochbeeten, bunten Bäckerkisten, Metallwannen und Erdsäcken der mobilen Gartenanlage entlang.

Der urbane Gemeinschaftsgarten steht jedem offen. Ein breiter Weg führt in den Garten hinein. Am Wegesrand sitzt eine ältere Dame und bietet antiquarische Gartenbücher an.

Überall wächst Grünzeug, alles ordentlich beschriftet. Schilder weisen zum „Shop“ und Tafeln informieren über zahlreiche Veranstaltungen – auf Deutsch und auf Englisch. Als nächstes gibt es bestimmt noch einen Audio-Guide.

Im Zentrum der Anlage stehen hölzerne Unterstände, die Infostand und Shop zugleich sind. Hier kann man Saatgut und Jungpflanzen kaufen, aber auch T-Shirts mit „Prinzessinnengärten“-Aufdruck. Zwei junge Leute sitzen dort und erklären gerade einem Touristen-Ehepaar kurz etwas zur Historie des Gartens (er besteht seit 2009).

Gegenüber vom Shop steht ein weiterer Unterstand, hier gibt es ein Tauschregal für Bücher. Ein Flohmarkt findet regelmäßig hier statt und Führungen durch den Garten gibt es auch.

Aber wo sind hier bitte die Kartoffeln? Ich schaue mich um und schnuppere in die Luft, finde aber keine Spur. Für das Kartoffelfest bin ich wohl zu spät dran.

Ich gehe weiter und stoße auf den Biergarten. In Containern werden Getränke und kleine Speisen gereicht, es gibt einen Toilettenwagen und daneben einen Zigarettenautomaten, der in einen Zukunftsautomaten umfunktioniert wurde  – man kann hier ein „revolutionäres Wachsgießset“ ziehen. Später stoße ich noch auf einen (defekten) Fotoautomaten.

Der Biergarten ist gut besucht, fast jeder Tisch besetzt. Hier kann man sicherlich nett sitzen, aber alleine macht mir das keinen Spaß. Also gehe ich weiter und schaue mir die Beete in den seitlichen Wegen genauer an.

Alles sieht schön bunt und alternativ aus. Gießkannen und Komposthaufen zeugen vom gärtnerischen Leben.

Das Gemüse wächst munter in den Hochbeeten. Nur Gärtner sehe ich keine. Auf den Täfelchen lese ich: „Do you want to harvest us? Please ask at the info-container“.

Also gehe ich zurück zum Shop im Zentrum. Dort lese ich wieder auf einer Tafel, welche Produkte zurzeit zum Verkauf stehen. Ich frage nach Mangold, aber bekomme die knappe Antwort, dass ich erst morgen bei der Führung etwas kaufen könne. Enttäuscht ziehe ich davon.

In einem anderen Teil des Gartens sehe ich die „Staudengärtnerei von Matthias“ und eine verlassene Spielanlage für Kinder.

Die bunte Beschaulichkeit kann ich jedoch nicht richtig genießen, da die Demo-Parade immer noch im Schneckentempo am Zaun vorbei marschiert und die Bässe meine Magenwände zum flattern bringen.

BLICKFANG

Eine große Anziehungskraft hat die Laube, ein Holzgerüst mit zwei Etagen. Neben einer still hängenden Schaukel finde ich ein Schild, das in Bild und Schrift über den Bau der Laube informiert (Eigenproduktion von Freiwilligen).

Zusammen mit emsigen Besuchern stampfe ich die Holzstufen hinauf. Hier hat man einen schönen Panoramablick – der ★★★★★ von mir bekommt.

Auf der obersten Terrasse sitzt eine Gruppe junger Leute auf Plastikstühlen in ein Gespräch vertieft, eine Schar von Bierflaschen zu ihren Füßen. Das ist doch mal Berlin, denke ich. Dachterrassen waren gestern.

Ein Mann mit rötlichem Vollbart und einer Blockflöte erzählt von seiner musikalischen Reise. Er hat sich das Flötenspiel selbst beigebracht. Auf eine Hörprobe warte ich jedoch vergebens.

Ich stehe daneben und komme mir ein bisschen wie eine Soziologin vor, es fehlen nur noch Klemmbrett und Fragebogen. Auch hier finde ich keinen menschlichen Anschluss oder Gesprächspartner. Ich mache verstohlen ein Foto und steige wieder hinab.

So öffentlich und belebt wie sich mir die Gartenanlage darbietet – mit seiner Gastronomie und Vermarktung – scheint er mir gleichermaßen seelenlos und anonym. Die Beete kommen mir fast wie eine Kulisse vor, die nur dem Ambiente dient. Ich wäre gerne mit einer Gärtnerin oder einem Gärtner ins Gespräch gekommen – aber dafür hätte ich wohl eine Führung besuchen müssen.

Zur falschen Zeit am richtigen Ort?

LITERARISCHE ERNTE

„Doch wie der Garten mit dem Plan, wächst der Plan mit dem Garten.“

Berthold Brecht

AM WEGESRAND

Selbst die Mülltonnen sind originell gestaltet – ich lerne etwas über Lebensmittelverschwendung.

Duell ohne TV: Cannabis vs. Sonnenblumen

Kaum lasse ich meine Schützlinge ein paar Tage alleine, werden sie mit Füßen getreten.

Heute sehe ich das Schlachtfeld vor mir – ein Dutzend der kräftigen Sonnenblumen liegt am Boden, ihre Stiele sind gebrochen – gut die Hälfte der Familie ist zerstört. Ihre überlebenden Schwestern schwanken mit hängenden Blättern im Wind.

Zwei liegende Blumen richte ich vorsichtig auf – ihre Stiele sind noch intakt – und lehne sie an ihre Gefährtinnen an. Ich hoffen, sie erholen sich wieder.

Was hat sich hier am Wochenende abgespielt? Während am Sonntag Merkel und Schulz im TV-Duell in Berlin-Adlershof Plattitüden austauschen, geht es in direkter Nachbarschaft in Karlshorst hand- bzw. fußfest zur Sache – was für ein Duell hat sich hier abgespielt?

No fake fact ist: Mittwochnacht sehe ich einige CDU-Wahlhelfer mit Leitern und Karren an den Laternen beim S-Bahnhof Karlshorst ihre Plakate aufhängen. Ich überlege noch, ob ich sie wegen meiner Sonnenblumen ansprechen und um Vorsicht bitten soll. Leider tue ich es nicht. Auch auf dem Rondell tauschen sie jedenfalls das Plakat ihres Kandidaten aus.

Ob das Fußvolk der Partei hierbei schon den Schaden angerichtet hat, kann meine forensische Analyse nicht beantworten.

Aber die jetzt blinden Augen des Kandidaten geben mir einen Hinweis – die weißen Flecken im Plakat deuten auf Vandalismus hin.

Im Gras direkt unter dem Plakat entdecke ich zerknüllte rote Aufkleber, zwei davon noch ganz gut intakt: Um ein Cannabis-Blatt kreist ein Schriftzug mit der Parole „GET UP & STAND UP * FOR YOUR RIGHTS“.

Gleiche Rechte für Sonnenblumen für aufrechten Stand und natürliches Wachstum scheinen die Pro-Cannabis-Aktivisten jedenfalls nicht zu gewähren!

Im Duell zwischen den Cannabis-Jüngern und den CDU-Anhängern um die Plakathoheit sind die Planzen vor dem Aufsteller jedenfalls rücksichtslos zertrampelt worden.

Wo bleibt der Sinn für Schönheit und der Respekt vor der Natur?

Die Niedergestreckten gebe ich der Erde zurück.

Eine werdende Blüte habe ich mit nach Hause genommen und in ein Intensiv-Wasserbett gelegt. Vielleicht überlebt sie…

Die verbleibenden Sonnenblumen im Plakatschatten brauchen eine schützende Kraft. Eine von ihnen – nicht die größte, aber die älteste – hat schon eine Knospe hervorgebracht. Ich hoffe, ich werde sie noch erblühen sehen!

Geknickte Grüße aus dem sonnenlosen Sonnenblumenrefugium

Meine Schützlinge und ich – zu besseren Zeiten (29.08.2017)

Folge 4: Mauergarten – Pioniere vereinen Wilden Westen und Osten mit grünen Kraftkreisen

STANDORT UND BODENVERHÄLTNISSE

Wo früher der Todesstreifen zwischen Prenzlauer Berg und Wedding verlief, liegt heute der Mauerpark. Besonders am Sonntag zieht der Mauerpark viele Menschen an, die auf der Wiese und im Birkenhain grillen, im Flohmarkt-Gewühl nach einem Schnäppchen suchen, sich von den Musikanten und Schaustellern unterhalten lassen und am Karaoke-Fahrrad im Amphitheater selbst zum Mikro greifen.

Und eine Mauer für den gestalterischen Ausdruck gibt es auch, allerdings nicht die „echte“, sondern die Trennmauer zum angrenzenden Stadion – hier kommen die Sprayer täglich mit ihren Dosen und einer Tapezierrolle, um erst mal eine Fläche für ihr neues Werk einfarbig zu grundieren. Die Mauerschaukeln sind nicht nur bei Kindern beliebt, sondern auch ein umworbenes Fotomotiv.

Mich aber lockt heute eine andere Attraktion an: Der interkulturelle Gemeinschaftsgarten Mauergarten hat über Facebook zum Beetbau-Workshop eingeladen.

PROBIEREN GEHT ÜBER PIKIEREN

Ich komme aus Richtung Voltastraße an der westlichen Seite in den Mauerpark. Ein Klangteppich von Menschengeschnatter und Musik dringt an mein Ohr und strenger Grill-Geruch in meine Nase. Wo soll hier bloß der Garten sein?

Zufällig streift mein Blick einen Bauzaun, am Horizont sehe ich Kräne und Rohbauten für eine neue Wohnsiedlung, aber dazwischen auf einer kahlen Fläche ragen ein paar Sonnenblumen in den Himmel.

Und stehen dort nicht auch Holzkästen auf dem Boden? Ich gehe näher. Tatsächlich, jetzt sehe ich in dem Areal zwischen den Bauzäunen eine kleine Kolonie von Menschen um ein Lagerfeuer, dort eine Konstruktion aus Holz, verkleidet mit gewellten Plexiglasscheiben – ja ein Gewächshaus, und sogar vereinzelt einige Hochbeete.

BLICKFANG

Ich umrunde den Bauzaun, stoße auf alte Eisenbahngleise und folge ihnen. Sie führen mich zu einer Öffnung, wo ein Zelt den Eingang markiert. Irgendwie komme ich mir hier vor wie im Wilden Westen. Oder im Wilden Osten?

Links in einer Ecke unter einem Baum sitzen einige Menschen mit buntem Geschirr um ein Lagerfeuer. Ich nähere mich der Gruppe und frage, ob ich hier richtig sei und ob hier heute Beete gebaut würden. Freundliches Nicken. Dann kommt ein Jüngling mit schwarzen Locken auf mich zu und bietet mir eine kleine Führung an.

Diego, so heißt der leidenschaftliche Gärtner, gehört zum festen Kern der Mauergartengemeinschaft. Warum hier alles so kahl aussieht, frage ich. Ihr Garten ist gerade im Wiederaufbau, erklärt er mir.

Schon 2 Mal mussten sie ihre Beete aus Europaletten von der Brachfläche, die an den Mauerpark angrenzt, auseinander nehmen und wieder zusammen setzen. Zuletzt wurde der Boden saniert (Schadstoffe von der früheren Eisenbahnstrecke der Berliner Nordbahn lagen dort), und dieser Bereich gehört nun zum Entwicklungsplan der Groth-Gruppe. Hier sollen Wohnkomplexe mit rund 600 Wohnungen entstehen. Dann sei es wohl aus mit der Abgeschiedenheit des Mauergartens.

Aber Diego ist voller Pionier-Optimismus. Sie sehen ihren 3. Neubeginn als Chance an. Jetzt ist ihr Garten offiziell anerkannt, sie bekommen auch Fördergelder von Grün Berlin, müssen dafür aber ihre Hochbeete nach gewissen Vorgaben bauen – statt Europaletten entstehen jetzt solide hölzerne Kästen. Stolz zeigt er mir die neuen Konstruktionen – sogar mit eingelassener Aufbewahrungskiste.

Das Herzstück ist das Gewächshaus, das aus 2 Räumen besteht. Im Multifunktionsraum steht ein Schreibtisch und Baupläne hängen darüber, auf den Regalen ringsum werden gerade kleine Pflänzchen angezogen und in einer Kiste strahlt die reiche Kürbisernte orangefarben um die Wette.

Diego erklärt mir ihren neuen Beet-Plan. Die Beete sollen sich in 5 Bereichen jeweils um einen Kraftkreis drehen. Es wird die Kreise „Kräuterspirale“, „Pflanzenkinder“, „Bienenrefugium“, „Schattenplatz“ und „Kraftplatz“ geben.

Im 2. Raum zeigt mir Diego die Tomatenstauden und ich staune nicht nur über die schönen Pflanzen, sondern auch über die tolle handwerkliche Konstruktion des Baus, zum Beispiel auch die Belüftung durch Kippfenster.

Diego lächelt erfreut und bescheiden – erst später verrät mir ein anderer Gärtner, dass Diego der Architekt und Baumeister des Gewächshauses ist. Diego ist seit 4 Jahren Berliner und hat scheinbar hier im Gemeinschaftsgarten seine Herzensheimat gefunden.

Ich schaue mich auf dem weiteren Gelände um. Bei den großen Sonnenblumen auf einem Hügel aus Mutterboden bauen gerade Mutter, Vater und 2 Kinder ein neues Beet, auch weitere Gärtner kommen zwischendurch mit Rat und Tat zur Hilfe.

Eine andere Gartenfreundin gießt Kräuter- und Gemüse-Stauden in den Beeten, die zwar ein wenig einsam, aber hoffnungsvoll auf der staubigen Fläche stehen.

Entlang des Zauns stehen überall blaue Regentonnen. Die Beeren brauchen noch ein wenig Sonne.

Zum Abschied spreche ich noch mit einem anderen engagierten Gärtner, der sich über meinen interessierten Besuch freut. Im Moment genießen sie ihre Abgeschiedenheit. Bald wird der Bauzaun fallen und ihr Garten wird Teil des Menschentreibens des Mauerparks werden.

Das Abenteuer der Gartenpioniere geht in eine weitere Runde.

Ich werde die Mauergärtner auf jeden Fall im Blick behalten und bin gespannt, wie sich ihr Garten in der nächsten Zeit entwickeln wird.

LITERARISCHE ERNTE

„Der Garten ist ein Lebenspfad,
der keinen Tod vor Augen hat.
Man pflegt und pflanzt und nährt den Boden
und manches muss man dann auch roden.
Der Garten, der durch Menschenhand
so manches Schöne verband –
befristet ist er, wie ein Menschenleben –
es sei denn, dass wir’s weitergeben.“

Gisela Koch

AM WEGESRAND

Nur wenige Schritte von der stillen Steppe des Mauergartens entfernt stoße ich auf die grüne Prärie des Mauerparks. Hier wimmelt es vor lautstarker Zivilisation.

Zwischen wilden Blumen sitzen hippe Berliner mit Bierflaschen und Hüten. Trommelmusik aus mehreren Richtungen, ein Kind schaukelt vor der Graffiti-Mauer, eine Frau singt schräg ins Karaoke-Mikro. Pralles Großstadtleben im Grünen. Hier ein audio-visualler Eindruck.

Wie anders hat es sich eben noch in der still wachsenden Gärtner-Kommune angefühlt – ich komme mir vor, als sei ich in eine andere Zeit und Welt katapultiert worden.

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