Mias Blog-Adventkalender 2018 – Weihnachten und andere Monsta – Türchen 4

Willkommen zu Mias Blog-Adventkalender 2018 – Weihnachten und andere Monsta. Auch in diesem Advent gibt es wieder eine spannende Gemeinschaftsgeschichte. Was bisher geschah (in kursiv):

Ich rüttelte ihn unsanft wach. Er hatte es schließlich versprochen, hoch und heilig hatte er es versprochen. Ich hätte es besser wissen müssen. Ich versuchte ihm den Teebeutel unter dem Arm wegzuziehen.
„Hey, du bist dran!“, rief ich noch einmal.
„Was, was ist los?“, fragte er, noch völlig verschlafen und von nix eine Ahnung.
„Du bist dran mit dem 2. Türchen und das schon seit Stunden!“, schimpfte ich.
„Aber, ich entspanne doch gerade so schön mit meinem Teebeutel!“, beschwerte sich Monsta und gähnte. „O.k., ich bin ja gar nicht so. Also, ich öffne jetzt das 2. Türchen und dann kann es endlich losgehen mit der Geschichte, oder?“ Er ließ seinen Teebeutel in der Tasse, stieg teenass aus der Tasse und kletterte, kleine Pfützen hinterlassend, durch das Fenster.
„Ich mache das Türchen von der anderen Seite auf!“, rief er und rüttelte an dem 2. Türchen, Nichts. Er rüttelte weiter.
„Es klemmt!“ Rütteln. Nichts. Rütteln. Nichts.
„Vorsicht, ich nehme Anschwung. Geh lieber zur Seite!“ Ein lauter Knall und Monsta flog mit dem zweiten Türchen herüber zu mir. „So, das Türchen wäre soweit!“, grinste er und schüttelte sich.
Ich lachte. Die Geschichte brauchte noch ein wenig, um sich von dem Schreck zu erholen, als sie so plötzlich im Raum stand, aber bis morgen wird sie sich erholt haben.

Wenn eine Tür zu klemmt oder sich nur mit ganz großer Kraftanstrengung öffnen lässt, ist es besser, sie geschlossen zu lassen und eine andere zu öffnen. Das passt doch besonders gut in die Adventszeit. Da entlanggehen wo es leicht ist… statt dessen machen wir uns das Leben oft schwer. Adventszeit heisst doch still werden, das Gute erwarten, behutsam vorangehen. Und was machen wir? Wir kämpfen immer mal wieder gegen das was ist. Nun ja, Monsta wollte nun mal unbedingt dieses Türchen öffnen. Und ja, es war dann ja auch genau richtig. Manchmal lohnt sich ja zu kämpfen. Genau hinter diesem Türchen verbarg sich nämlich eine Wortwolke, die wie geschaffen schien, um daraus eine wunderbare Geschichte für alle Monstas und Mias und alle anderen kleinen und großen Menschen zu erzählen. Da standen in krakliger Schrift viele gute Zutaten für eine wirkliche Adventskalendergeschichte: Wünsche, Advent, Weihnachten, Liebe, Frieden, Sehnsucht, Türen, Engel, strahlen, Freundschaft, Mysterium. „Schnee“ und „Winter“ lies sich nur ganz knapp entziffern. Einige weitere Worte waren gänzlich verwischt, man konnte sie nicht entziffern. Auch wenn Monsta sich noch so anstrengte… Aber er hatte ja selbst noch so viele Ideen mehr…

Türchen 4:

Monsta und Mia schauten mit aufgerissenen Augen auf ihren Gast, der sich in einer geschmeidigen Bewegung aus der Teepfütze erhob und nun in Form einer Kartoffeln vor ihnen saß. Sein Körper sah aus wie ein durchsichtiger Wackelpudding, in dessen Innern kleine Lichtpünktchen in Grün und Gold aufblinkten, wie bei einer phosphoreszierenden Alge.

„Haaatschiiiii“, machte das Wesen und schoss dabei in die Höhe wie eine Gurke und blinkte hellgrün auf. Dann sackte es wieder in sich zusammen und sah jetzt wie eine zitternde Birne aus.

„Entschuldigung, dass ich hier so mit dem Türchen ins Haus gefallen bin. Darf ich mich vorstellen: Ich bin das Mysterium“, sagte das Mysterium.

„Ah, bist du unsere Adventsgeschichte?“, wollte Monsta wissen und grinste verschmitzt mit allen seinen fünf Zähnen.

„Ich bin die Pointe der Geschichte“, sagte das Mysterium und leuchtete golden auf.

„Aber ich habe mich leider in der Tür geirrt und bin viel zu früh dran. Ihr hattet es so eilig.“

„Was machen wir nun mit dir?“, fragte Mia.

„Ihr könnt mir helfen, die anderen Figuren der Geschichte suchen zu gehen. Sie sind beim schwungvollen Türchen öffnen von der Fensterbank nach unten in den Schnee gefallen.“

„Nach wem sollen wir denn Ausschau halten?“, fragte Monsta und strubbelte sich voller Tatendrang mit seinen kleinen Händen im Zottelhaar.

„Der Prolog hatte schon seinen Auftritt, den müsst ihr nicht mehr suchen. Haltet die Augen auf nach Fräulein Freundschaft und Kammersängerin Sehnsucht. Herr Winter hat ziemlich frostige Manieren, aber vielleicht findet ihr noch heraus, was man tun muss, damit er auftaut.“

„Bin schon unterwegs“, rief Monsta und wollte losfliegen…

Und hier, bei Sonja, öffnet sich morgen das 5. Türchen.

Am Tag 26 im National Novel Writing Month – Auf einer Kitschwelle ins Ziel

Heute ist Tag 26 und ich bin auf der Zielgeraden! Gestern kurz vor Mitternacht habe ich die 45.992 Wörter voll geschrieben. Also nur noch 4.008 Wörter (sagt mein treuer Freund der Taschenrechner) bis ins Ziel am Freitag. Zum Glück bin ich seit meinem letzten Blogeintrag vor zwei Wochen besser in den Schreibfluss gekommen und musste mich nicht mehr ganz so stark antreiben – obwohl das Wörterpensum jeden Tag aufs Neue eine Herausforderung ist.

Alle Höhepunkte meiner Geschichte sind erzählt. Natasha und Robert haben sich aus dem Aufzug befreit, in dem sie zusammen feststeckten – dabei gab es Wortduelle und körperliche Annäherung (okay, „Räuberleiter“ ist jetzt nicht der Inbegriff von Erotik, aber immerhin). In ihren Szenen sind die Widersacher – der unsympathische Personaler Waidemann und Roberts diktatorischer Chef Herr von Auerstedt zwar aufgetreten – aber eher als zahnlose Tiger. Hollywood Bösewichter gehen anders…

Die Millionärsgattin Gabriele, die den Stromausfall genutzt hat, um ein Dessous zu stehlen, wurde im Parkhaus vom 17-jährigen Fahrradkurier Yul (und Gelegenheitsdrogendealer) gestellt und erpresst. Später sind sie sich im Rothschildpark schicksalhaft ein zweites Mal begegnet – dieses Mal in umgedrehtem Machtverhältnis – Blut und Tränen sind gelaufen.

Jetzt bleibt mir nur noch, das rührselige Finale für mein Liebespaar zu schreiben – Kitsch-Alarm!

Eigentlich ist Jane Austen mein großes Vorbild in romantischer Romanliebe, aber ich fürchte, mein Paar hatte zu wenige Hindernisse auf dem Weg zum Happy End. Ich habe den Verdacht, bei mir klingt es mehr nach Rosamunde Pilcher, wo man schon von der ersten Sekunde an weiß, wer zusammen kommt. Aber da Millionen von Leserinnen zu Pilcher geseufzt haben, ist das Strickmuster vielleicht nicht das Schlechteste.

Bei Gabriele und Yul schwebt mir für den Ausklang vor, dass sie durch ihre Begegnung verändert und geläutert sind. Noch mehr gefühliges Pathos.

Meine größte Sorge ist, dass ich nicht mehr genug Stoff habe und spätesten am Mittwoch alles überdeutlich ausgewalzt und nichts mehr zu erzählen habe. Wie fülle ich bloß die Seiten? Immerhin bleibt mir noch meine Nebenfigur, der Wiener Herr im weißen Anzug, der Briefe an seine „Geliebte Claudette“ schreibt. Den hatte ich in letzter Zeit links liegen bzw. in der U-Bahn feststecken lassen, kurz vor dem Zoo – vielleicht kann ich noch einen Raubtierangriff einbauen für ein bisschen mehr Spannung oder wenigstens ein possierliches Tierchen durch die Szenerie hüpfen lassen. Ihm kann ich noch einen Schreibtag widmen.

Außerdem habe ich eine Rubrik „Aus dem Äther“ – Mikrogeschichten aus den Nachrichten, die sich die Leute schicken. Diese habe ich immer mal zwischen den Kapiteln geschrieben, wenn ich einen „Kater“ von einer dramatischen Szene hatte und mich zu nichts Neuem aufraffen konnte.

Heute Abend tippe ich also weiter auf der Tränendrüse herum.

 

 

 

Am Tag 12 im National Novel Writing Month – Wörter wo seid ihr? Blackout im Zwang der Zahlen

Ein Drittel des Weges auf meinem NaNoWriMo-Schreibabenteuer habe ich bewältigt – mit Hängen und Würfen! Noch nie waren 1.667 Wörter (das durchschnittlich zu erringende Tagespensum, damit ich in 30 Tagen auf die Romanlänge von 50.000 Wörtern komme – so ist die Challenge dieses Wettbewerbes mit mir selbst) so schwer zu finden. Wo seid ihr Wörterwellen und Schreibrausch?

Ich frage mich, wie ich das im letzten Jahr so locker geschafft habe, mit Überschuss jeden Tag und leichtem Fluss (zumindest im November – meine Schreibreise ging ja dann noch drei Monate weiter, da wurde der Weg noch steinig).

In der ersten Woche musste ich mich oft mit Stoppuhr (10 Minuten schaffst du, dann Pause) von Etappe zu Etappe hecheln. Auch der Extras-Button (zum Wörter zählen) und mein Taschenrechner sind im Dauereinsatz: „Oh mein Gott, wie viel noch, habe ich es endlich geschafft???“

Liegt es am vielleicht Stoff?

Blackout“ nenne ich meinen Roman. Ich fürchte, dieser Titel ist in meinen Schreibprozess durchgesickert und zieht dort schwarze Fäden in meinen Gedanken.

Meine Geschichte baut auf den 15 Romanseiten auf, die ich im August in der Romanwerkstatt im Studium geschrieben habe. Die Handlung spielt an einem heißen Julitag – am Freitag, den 13. (den gab es wirklich dieses Jahr) in Frankfurt am Main – kurz nach 14 Uhr fällt in der ganzen Stadt der Strom aus (für mehrere Stunden). Der neue EZB-Wolkenkratzer ist einer der dramatischen Handlungsorte.

Inspiriert zu diesem Romansetting hat mich der große Stromausfall am 13. Juli 1977 in New York City – eine der dunkelsten Stunden der Stadt mit Plünderei und Gewaltausbrüchen. Ich finde es sehr reizvoll, Figuren unterschiedlicher Gesellschaftsschichten und Temperamente in dieser menschlichen und zivilisatorischen Extremsituation aufeinander prallen zu lassen. Wer handelt heldenhaft, wer schurkenhaft?

In meiner Geschichte wird zwar auch Blut fließen, aber im Zentrum steht die Romantik. Im Moment des Stromausfalls führt das Schicksal (ich) die schlagfertige Putzfrau Natasha und den zurückhaltenden Banker Robert im Fahrstuhl zusammen. Sie müssen sich aus der Falle befreien und kommen sich dabei näher.

Außerdem gibt es noch die Milionärsgattin Gabriele von Auerstedt, die im Moment des Stromausfalls in einer Umkleidekabine steht und spontan zur Dessous-Diebin wird. Dabei wird sie vom Fahrradkurier Yul beobachtet, ein 17-jähriger lebenshungriger Junge aus dem Rotlichtmilieu, der von einem besseren Leben träumt.

Dann gibt es noch den älteren Herrn aus Wien im weißen Anzug (bankrott und bigott), der die Asche seiner toten Frau in einer Lebkuchendose mit sich herum trägt und einen fatalen Plan verfolgt. Soweit, so gut.

Als ich am  1. November mit dem Schreiben begonnen habe, wollte ich nicht dort fortsetzen, wo meine Romanseiten endeten (im Moment des Stromausfalls), sondern noch eine wenig zurück gehen und mir mehr Zeit zur Einführung meiner Figuren geben. Die fertigen Seiten (die ich nicht in meinen NaNoWriMo-Wordcount mit einrechne – das ist Ehrensache) sind wie der Rohbau – dort habe ich sehr konzentriert auf wenig Raum die Charaktere aufgebaut – den ich in den letzten 11 Tagen von innen ausgestattet habe – zuweilen mit viel Detailliebe und überflüssigem Stuck.

Ich hatte das Gefühl, dass ich meine Figuren erst noch in ihrem Alltag zeigen möchte, bevor ich sie in die Ausnahmesituation des Stromausfalls stürze.

Also habe ich mich ausschweifend jeder Figur zugewandt: Natasha beim abendlichen Putzen (u.a. tauscht sie versteckte romantische Zettelbotschaften mit dem Inhaber eines der Büros aus, beide wissen nicht, wer der geheimnisvolle Schreiber ist – Spoiler Alert: es ist Robert), Robert beim Frühstücken und mit dem Fahrrad zur Arbeit fahrend, dem Wiener anreisend und Gabriele im Schönheitssalon.

Das klingt so, als wäre mir das leicht von der Hand gegangen. Fehlanzeige. Ständig ermahne ich mich beim Schreiben „show, dont’t tell“. Diese goldene Regel habe ich tausendmal gebrochen. Ich bin eine echte Plaudertasche und erkläre ständig die Gedanken und Motivationen meiner Figuren, auch wenn ich versuche, sie wenigstens in Dialogen (wenn schon nicht mit Handlungen) zu zeigen.

Als Erzählperspektive habe ich den Personalen Erzähler gewählt und wechsele zwischen der Sicht von Natasha, Robert, Yul und Gabriele. Ich drifte gefährlich nahe an den Allwissenden Erzähler, was ich vermeiden möchte.

Für den Wiener im weißen Anzug (der in den Action-Szenen aus der Sicht Dritter gezeigt wird und eher unsympathisch rüber kommt) habe ich mir den Trick überlegt, dass ich seine Innenwelt in Briefform sichtbar mache. Wieder ganz und gar „telling“ – er sitzt im Zug und schreibt einen langen Brief an „Meine geliebte Claudette“ – das habe ich an Tag 3 geschrieben, als ich um jedes Wort gerungen habe, um meinen Wordcount zu schaffen (habe nach 557 Wörter kapituliert).

Ja, die Statistik sitzt mir im Nacken. Die Disziplin ist das oberste Gebot. Ich zwinge mich, an jedem Tag zu schreiben (meistens zwischen 21 Uhr und Mitternacht, wenn es kein „später“ mehr gibt). Ich lasse keine Ausreden gelten. „Heute lasse ich es sein, dann schreibe ich morgen eben das Doppelte“, gibt es nicht. Die Aufholjagt ist Stress pur – selbst, wenn mir nur ein paar hundert Wörter fehlen. An Tag 3 und Tag 7 habe ich mich zu 557 und 432 Wörtern gequält (immerhin), dafür an anderen Tagen 2.400 Wörter geschafft. Ich versuche jedoch, den Durchschnittslevel zu halten (1.700 pro Tag wären ideal, mit Mini-Polster).

Hier meine aktuelle Statistik. In der Zeile „At This Rate You Will Finish On“ steht nun endlich der 30. November. Bis vor 2 Tagen war es der 3. Dezember – too late! – Panikaufwallung.

Genug der Worte? Mein obiges Lamento hat 899 Wörter (das wäre schon über die Hälfte meines heutigen Tagespensums) – ach, ich glaube, ich leide an einer word-count-compulsion – einem Schriftstellerzwangsstörungszahlensyndrom…

Jetzt möchte ich euch noch eine Leseprobe gönnen. Ich hatte letzte Woche ein intensives Vorstellungsgespräch und habe daraus jede Menge Tintensaft gesogen. Die Fragen des Interviewers sind mir echt so gestellt worden – ihr werdet sehen, wie meine Romanheldin Natasha damit klar kommt.

Übrigens neben dem Briefschreiben eine weitere Selbstaustricksung: Wenn ich meiner Erzählerstimme schon das Schwafeln verbiete (show show show), dann lasse ich meine Figur im Job Interview einfach ihre Lebensgeschichte erzählen. Mein innerer Kritiker soll sich halt bei Natasha beschweren.

 

 

Hans im Glück – eine Aussteigergeschichte über heitere Besitzlosigkeit

Hans im Glück ist kein typischer Märchenheld, denn er sammelt weder Schätze noch Ruhm an und gewinnt auch nicht das Herz einer schönen Frau. Nein, er ist ein Trottel, der seinen Verdienst der letzten sieben Jahre in kürzester Zeit durch dumme Tauschgeschäfte verliert und mit leeren Händen zu seiner Mutter zurück kehrt – mittellos, aber glücklich. Ist er gerade deshalb ein Vorbild in unserem Zeitalter des Konsumzwangs und der Erfolgsversessenheit?

Seine Geschichte ist schnell erzählt:

Hans war sieben Jahre in der Lehre eines Handwerkers. Zum Abschluss erhält er seinen Lohn in Form eines Goldklumpens von der Größe seines Kopfes. Auf dem Weg nach Hause wird ihm das Tragen beschwerlich und so tauscht er sein goldenes Vermögen gegen ein Pferd ein. Er folgt also einem momentanen Impuls (Bequemlichkeit) und stellt bei diesem Tauschgeschäft keine übergeordnete Wertkalkulation an.

Auf seinem weiteren Weg tauscht er das Pferd gegen eine Kuh, die Kuh gegen ein Schwein, das Schwein gegen eine Gans und die Gans gegen einen Schleifstein. Wir als Leser*innen merken sofort, dass er mit jedem Tauschgeschäft einen herben Verlust macht. Aber Hans ist jedes Mal sehr zufrieden damit.

Wenn Hans selbst seine Geschichte erzählt, klingt sie ganz anders – nämlich so, als seien ihm alle seine Besitztümer geschenkt worden (weil er sie nicht kaufen musste). Das zeigt eindrücklich: Erfolg oder Misserfolg, Glück oder Unglück – sie sind keine festen Messwerte, sondern Variablen, die alleine von der Perspektive abhängen, aus der man sie betrachtet.

Scherenschleifer: »Aber wo habt ihr die schöne Gans gekauft?«

Hans: »Die hab ich nicht gekauft, sondern für mein Schwein eingetauscht.« »Und das Schwein?« »Das hab ich für eine Kuh gekriegt.« »Und die Kuh?« »Die hab ich für ein Pferd bekommen.« »Und das Pferd?« »Dafür hab ich einen Klumpen Gold, so groß als mein Kopf, gegeben.« »Und das Gold?« »Ei, das war mein Lohn für sieben Jahre Dienst. (…) Hans lud den Stein auf und ging mit vergnügtem Herzen weiter; seine Augen leuchteten vor Freude, »ich muß in einer Glückshaut geboren sein«, rief er aus, »alles was ich wünsche, trifft mir ein, wie einem Sonntagskind

Zu Schluss fällt Hans der Schleifstein (der für ihn im Übrigen auch keinen Nutzwert hat, da er dieses Handwerk gar nicht gelernt hat) in einen Brunnen.

»Hans, als er sie mit seinen Augen in die Tiefe hatte versinken sehen, sprang vor Freuden auf, kniete dann nieder und dankte Gott mit Thränen in den Augen, daß er ihm auch diese Gnade noch erwiesen und ihm auf eine so gute Art und ohne daß er sich einen Vorwurf zu machen brauchte, von den schweren Steinen befreit hätte; das einzige wäre ihm nur noch hinderlich gewesen. »So glücklich wie ich«, rief er aus, »gibt es keinen Menschen unter der Sonne.« Mit leichtem Herzen und frei von aller Last sprang er nun fort, bis er daheim bei seiner Mutter war.«

Da kann ich nur Staunen und Schmunzeln. „Frei von aller Last“ hallt in mir nach. Ja, das ist ein Wunsch, der wohl in so manchem zeitgenössischen Menschen rumort. Leistungsdruck, Burn-Out, Statussymbole, Konsumterror – das sind die Zeichen unserer Zeit.

Hans ist die Gegenfigur dazu – seine Geschichte die Mutter aller Aussteigerphantasien.

Ja, der naive Hans taugt als Lichtgestalt für alle Menschen, die sich von den Fesseln des Materialismus und der persönlichen Versklavung im Dienste der Karriereleiter befreien möchten.

Geschichten über die menschliche Sinnsuche sind heute allgegenwärtig.

Kürzlich habe ich den Film Into the wild“ (2007) gesehen – ein Zivilisationsflucht-Drama, das auf einer wahren Geschichte basiert: Der 22-jährigen Student Christopher McCandless (er nennt sich „Alexander Supertramp“) verlässt nach dem Collegeabschluss 1990 seine Familie, sagt sich von allem Besitz los (spendet sein Vermögen), lässt sein Auto zurück, behält nur die Kleidung auf seinem Körper und einen Rucksack, er wandert und trampt zwei Jahre lang quer durch die USA, dabei begegnet er einigen Menschen, die ihm Formen des Zusammenlebens anbieten, aber für ihn ist die Einsamkeit die erstrebte Lebensform.

Schließlich findet er in der Wildnis von Alaska einen verlassenen Campingbus, in dem er überwintert. Abgeschnitten von der Zivilisation denkt er über den Sinn des Lebens und das Glück nach (braucht man andere Menschen, um glücklich zu sein?). Aber die materiellen Bedürfnisse des Menschen werden ihm zum Verhängnis: Er leidet Hunger und stirbt im Laufe des Winters an Auszehrung und an einer Lebensmittelvergiftung (1992). Aus seinen Tagebuchaufzeichnungen geht hervor, dass er kurz vor seinem Tod zu der Erkenntnis gelangt sei, dass man nur glücklich wird, wenn man das Glück mit Anderen teilen kann.

Demnächst kommt der Film „100 Dinge“ (von und mit Florian-David Fitz und Matthias Schweighöfer) ins Kino, in dem zwei Männer aufgrund einer Wette alle ihre Besitztümer aufgeben und jeden Tag eines davon zurück bekommen können. In diesem Experiment lernen sie den wahren Wert von Glück kennen. Hier geht es um Besitzlosigkeit, Konsumverweigerung und die Frage, was der Mensch für sein Glück braucht. Die zwei Typen hätten Hans im Glück bestimmt in ihre WG aufgenommen.

Unser Hans jedoch stürzt sich nicht völlig ins materielle Nichts – er kehrt heim an den warmen Ofen seiner Mutter. Diese stelle ich mir als gutmütiges Weiblein vor, die halb blind bei Kerzenschein bis tief in die Nacht Handarbeiten macht, um ihren trotteligen Sohnemann zu ernähren.

„Hans im Glück“ lässt uns nachdenken darüber, was du und ich brauchen, um glücklich zu sein. Welche materiellen und immateriellen Dinge sind es? Im Fall von Hans scheint es seine optimistische Weltsicht zu sein, sein Leben im Augenblick und sein Vertrauen in ein liebevolles soziales Umfeld. Er ist frei von Erwartungsdruck. Hans‘ Glück entspringt seiner inneren Einstellung.

Wie ihr euch denken könnt, juckt es mir in den Fingern, zu diesem Thema meine eigene Märchen-Interpretation zu schreiben.

Holla – da ist mein Märchen schon fertig: Sieben Seiten gefüllt mit Buchstaben. Puh, dauert das Korrigieren aber lang. Ein komischer Vogel besucht mich und bietet mir an, meinen Text gegen einen Tweet zu tauschen. Super: 140 Zeichen leichtes Leseglück. Dann knurrt mein Magen. Kollege Knorr kommt des Wegs und bietet mir an, den Tweet gegen eine Buchstabensuppe zu tauschen. Ein Handel ganz nach meinem Geschmack: In meiner Suppe schwimmen Dutzende von Buchstaben, ich werde satt davon. Wie schön, dass ich mein Märchen jetzt gestärkt noch mal schreiben darf!

Die Buchstaben bleiben dann hoffentlich in meinem Besitz, so dass ihr sie nächste Woche hier lesen könnt.

Die Erfolgsgeschichte der Täuschung – gut gelogen ist halb gewonnen

„Lügen haben kurze Beine!“ Nicht im Märchen! Dort stecken sie in Stiefeln und bringen den Märchenhelden ganz nach oben. So in »Der gestiefelten Kater«. Dieser gut gekleidete Kater ist ein wahres Marketinggenie und sollte jedem Salesman des 21. Jahrhunderts Modell stehen. Im Handumdrehen bzw. Zungeumdrehen schafft der pelzige Stiefelträger es, seinen Herrn vom armen Schlucker zum Großgrundbesitzer, Schlossherrn und Prinzgemahl zu erheben.

Zur Erinnerung: Es war einmal ein Müller, der hatte drei Söhne. Als dieser stirbt, teilen sich die drei Söhne die Erbschaft: der älteste bekommt die Mühle, der zweite den Esel, der dritte den Kater. Der Kater ist gut im Mäuse fangen, aber damit kann der jüngste Sohn wenig anfangen. Er überlegt, sich vom Fell des Katers ein Paar Pelzhandschuhe machen zu lassen. Der Kater ist klug und hält ein Plädoyer um sein Leben:

»Hör, du brauchst mich nicht zu töten, um ein Paar schlechte Handschuhe aus meinem Pelz zu kriegen; laß mir nur ein Paar Stiefel machen, daß ich ausgehen und mich unter den Leuten sehen lassen kann, dann soll dir bald geholfen sein.«

Der Müllerssohn gibt dem Vorschlag aus einem Impuls heraus nach und bald schon marschiert der Kater aufrecht und gestiefelt in die Welt, um für seinen Herrn Werbung zu machen.

Er kümmert sich bestens um die Public Relations, indem er dem amtierenden König Rebhühner als Geschenk seines Herrn bringt, den er als „Graf“ betitelt. Zum Dank sendet der König dem falschen Grafen säckeweise Gold. Aber Zahlungsfähigkeit alleine ist für den Müllersgrafen nur der erste Schritt seines Aufstiegs. Der clevere Kater weiß: Wer ein großer Mann werden will, braucht Statussymbole und eine gesellschaftliche Stellung. „New Money“ hat sich schon immer mittels Ehe in den Hochadel eingekauft.

Wie in einer Reality Soap (selbstverständlich mit Drehbuch) lässt der Miezemeister der Illusion den Müllerssohn nackt in einem See baden und versteckt dessen armseligen Kleider. Als der König in seiner Kutsche vorbei gefahren kommt, erzählt der Kater ihm eine Räuberpistole und der König glaubt alles. Er kleidet den ausgeraubten Grafen (den er als Spender der Rebhühner schätzt) in prächtige Gewänder und lässt ihn in sein Luxusgefährt einsteigen, wo just auch die Prinzessin sitzt.

Jetzt zieht der gestiefelte Kater alle Register einer guten Imagekampagne auf.

So wie Donald Trump sich dreist in die Liste der 400 Superreichen des US-Magazins „Forbes“ geschummelt hat (indem er das Vermögen seines Vaters als sein eigenes deklariert hat), trägt der Kater die Täuschung wie ein Banner vor sich und seinem Herrn her: Er beeinflusst die öffentliche Meinung mittels einer Flüsterkampagne – in Zeiten von Social Media würden seine „alternativen Fakten“ und „fake news“ von unzähligen Followern geteilt werden: Der PR-Kater setzt die Lüge in die Welt, die Wiesen, der Wald, das Schloss (die in Wahrheit alle einem Zauberer gehören) stünden im Eigentum seines Grafen. Die leichtgläubigen Leute geben diese Nachricht ungefiltert an den König weiter, der keine Zweifel an der Echtheit dieser Aussagen hegt.

Mit List bringt der Kater den Zauberer um (als jener sich in eine Maus verwandelt, kann der Kater nochmals auf seine Kernkompetenz zurück greifen) und enteignet ihn somit seiner Habe.

Der Müllerssohn tritt nun als Graf in das unrechtmäßig ergaunerte Gut ein und ist prompt der perfekte Heiratskandidat für die Königstochter. Bald schon ist er selbst König und der gestiefelte Kater wird sein erster Minister.

Was für eine Erfolgsgeschichte! Und alles dank Lüge (der PR-Kater würde es „List“ nennen) und Täuschung („aktive Imagepflege“).

In einigen Märchen finden sich noch weitere Lehrstücke, wie unehrliches Verhalten belohnt wird. So zum Beispiel in »Das tapfere Schneiderlein«. Der Schneider erschlägt sieben Fliegen mit einem handelsüblichen Tuchlappen. Diese Alltagstat bauscht er zur Heldentat auf, indem er sich einen Gürtel (man denke an asiatischen Kampfsport) anlegt, den er mit der Aufschrift „Sieben auf einen Streich“ bestickt.

Diese Übertreibung im Dienste der Selbstvermarktung wird fortan sein Wahlspruch. Im Verlauf der Geschichte erliegt so mancher Gegner dieser vorgetäuschten Heldentat und prüft sie nicht auf ihre Substanz. Stiftung Tapferkeitstest gab es offenbar noch nicht.

Auch die praktische Täuschung beherrscht das „tapfere“ Schneiderlein bestens: Er zerquetscht Käse in seiner Hand, den er für einen Stein ausgibt und er besiegt zwei Riesen, indem er sie gegeneinander aufbringt und sich gegenseitig zerfleischen lässt (so mancher Politiker mag diese Taktik bewundern).

Inspiriert von diesen Lehren gibt es nun mein neustes Märchen:

Der geföhnte Pudel oder Sieben Lügen auf einen Streich

Darin werdet ihr sehen, wie lange die  Lügenbeine tragen und was den Protz zum großen Mann werden lässt…

Ein gewisser Kater schaltet sich ein und übernimmt die Ankündigung:

OUT NOW:  Die sensationelle Neuerscheinung steigt gleich in die TOP 7 der All-time-Märchen-Favoriten ein.

(Räusper) Leider zurzeit nicht lieferbar, da noch nicht geschrieben. Vorbestellung jederzeit möglich.

Coming soon…

Out NOW (really – as of Oct. 7, 2018): 

http://www.ulrikearabella.de/2018/10/07/der-gefoehnte-pudel-oder-mit-siebenmeilenstiefeln-zur-wahren-groesse/

Märchen auf den Kopf gestellt – nicht von guten Eltern

Die Märchenwelt steht Kopf. Marie ist keine schöne Prinzessin, sondern ein ungeliebtes dickes Kind, das mit Vorliebe die Gestalten in ihrem Märchenbuch mit ihren Filzstiften tyrannisiert. Als sie plötzlich selbst in der Märchenwelt landet, wird sie mit ihrer eigenen Not konfrontiert – hierbei sind der hungrige Wolf und der ungeküsste Frosch das kleinste Problem.

„Marie mag keine Märchen“ habe ich gestern fertig geschrieben und bei einem Wettbewerb eingereicht. Die Vorgabe lautete, bekannte Märchen neu zu erzählen („die ganze Wahrheit“).

Bei der Ideensuche für meine Geschichte habe ich die altvertrauten Grimm’schen Märchen wieder gelesen und nach übergreifenden Themen und Verbindungen gesucht. Was treibt die Figuren an und warum kommen sie in Schwierigkeiten?

Es sind Hochmut, Eifersucht, Eitelkeit, Ungehorsam und Übermut, die die Märchenwesen in die Bredouille bringen und die bösen Stiefmütter und Hexen zu ihren Intrigen und Zaubereinen anstacheln.

In „König Drosselbart“ ist die Prinzessin hochmütig, indem sie die Prinzen verspottet und abweist, die um sie werben.

Hänsel und Gretel sowie Rotkäppchen kommen aus Ungehorsam im wahrsten Sinne des Wortes vom Weg ab und müssen dafür bezahlen.

Die Eitelkeit und die Eifersucht treiben die Stiefmutter von Schneewittchen und die Schwestern von Aschenputtel dazu an, diese guten Mädchen ins Unglück zu stürzen.

Sind die Heldinnen und Helden erst einmal in Schwierigkeiten – entweder wegen ihres schlechten Charakters oder durch ihre Neider – müssen sie sich schweren Prüfungen stellen, sich behaupten, Buße tun und geläutert werden, um zum guten Schluss belohnt zu werden.

Ein gutes Beispiel für die Belohnung einer guten Tat findet sich im „Gestiefelten Kater“, wo der jüngste Sohn seinen geerbten Kater nicht zu Handschuhen verarbeitet, sondern das Tier am Leben lässt, das wiederum mit Witz und Betrug dafür sorgt, dass sein Herr zum reichen Landbesitzer und Prinzgemahl wird.

Aber ist das schon das ganze Rezept? Ich drehe und wende die Geschichten und richte meinen Blick auf die Eltern-Figuren. Sind es nicht die nachlässigen Eltern, die Hänsel und Gretel in den dunklen Wald schicken?

Ist es nicht der grausame Vater in „König Drosselbart“, der die Selbstbestimmung seiner Tochter unterdrückt (hat sie nicht das Recht, einen Brautwerber abzulehnen?) und sie zur Strafe dem nächstbesten Bettler mitgibt?

Warum strengt sich der Vater von Dornröschen nicht mehr an, die 13. Fee zum Fest einzuladen (ein zusätzlicher goldenen Teller ließe sich im Königreich doch wohl auftreiben)? Warum setzt sich der Vater von Aschenputtel nicht mehr für seine Tochter ein? Väter schrecken auch nicht davor zurück, ihre Söhne im Kampf um das Erbe gegeneinander antreten zu lassen („Die drei Brüder“, „Die drei Federn“). In „Tischlein deck dich, Goldesel, Knüppelausdemsack“ glaubt der Vater eher dem Lügengemeckere der Ziege, als den wahren Worten seiner drei Söhne und jagt sie einen nach dem anderen mit Schlägen aus dem Haus.

Ganz evident ist das Versagen der Mutter in Rapunzel (die in der psychologischen Deutung mit der Zauberin, die Rapunzel im Turm gefangen hält, identisch ist). Von grausamen Stiefmüttern brauche ich gar nicht erst anzufangen – in „Schneewittchen“ kann man über die fantasievolle Bandbreite an Mordanschlägen auf die Stieftochter staunen (vom Jäger erschießen lassen und Lunge und Leber zum Beweis ausweiden, Erwürgen mit Halskette, mit Apfel vergiften).

Alle Eltern, die in Märchen vorkommen, versagen in ihrer elementaren Aufgabe, ihre Kinder zu beschützen und gut für sie zu sorgen. Oft ist es erst diese Vernachlässigung, die die Kinder in ihre Notsituationen stürzt.

Das bringt mich dazu, die Prämisse des Märchens als Erziehungsstück für Kinder auf den Kopf zu stellen. Wie wäre es, wenn im Märchen mal die Eltern geprüft, geläutert und erzogen würden?

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf lade ich euch nun ein, mein Märchen-Remix von Marie zu lesen. Ihr werdet bestimmt einige bekannte Figuren und Themen wieder erkennen.

Marie mag keine Märchen

Blogparade #BKS11: April, April, der weiß nicht was er will

Willkommen zur Blogparade mit dem Thema: April, April, der weiß nicht was er will! Alle Schreiblustigen aus unserem Masterstudiengang Biografisches und Kreatives Scheiben an der ASH Berlin (#BKS11) sind herzlich eingeladen, ebenso wie alle anderen schreibfreudigen Bloggerinnen und Blogger.

Ihr dürft das Thema frei interpretieren – als Gedicht, Kurzgeschichte, Collage u.a. Aber es gibt eine kreative Herausforderung (contrainte): Es sollen nur Wörter verwendet werden, die ein „a“ enthalten („ä“ gilt auch).

Die „contrainte“ ist eine kreative Methode aus der „Werkstatt für Potentielle Literatur“ OuLiPo (L‘ Ouvroir de Littérature Potentielle). Durch die selbstauferlegten formalen oder inhaltlichen Textbildungsregelungen sollen die verborgenen Potentiale der Sprache entdeckt werden.

Die Blogparade startet ab sofort und endet am 30. April 2018. Schreibt einfach den Link zu eurem April-Blogbeitrag unten in den Kommentar. Los geht’s und viel Spaß!

Ausgeschlüpft am Montag:

April Attitüden

Osterhasen hasten schokoladenbeladen

Samen schauen staunend auf Himmelslaunen

Pflanzenknospen sagen Wintergrau adé

Himmelslampe strahlt glanzvoll warm

Hagelschauer machen manchen sauer

Sauberleute starten Lappenattacken auf Fensterglas

Naturbewunderer wandern wacker aus Wolkenausbruch

Stubenhocker halten beharrlich zuhause aus

Balkongärtner tauen Geranien auf

Sonnenanbeter stranden auf Mallorca

Schränke fassen fade Flanelljacken

Nacktfußfreunde laufen lässig auf Sandalen

Amour labt Ausgehungerte avec charme

Sprachliebhaber schmausen alphabetisch

Babys Frauen Mädels Männer Knaben

tragen ahnungsfrohes Antlitz

Bald lacht allerliebster Mai

Ai!

ASH-Variante am Dienstag

Naturbewunderer tragen Wetterfahne auf see*hnassen Alleen

PARADEN-LAUF:

EinAHase von Sabine Hinterberger

Osterhasenglück von Hedda Lenz

Kurzurlaub von Bettina-Maria Henze (BKS IV):

Kurzurlaub

Katastrophenwetter! April! Abhauen! Urlaub! Südeuropaträume! Italien! Zitronenbäume! Fähre fahren auf blauem Wasser! An lauen Abenden am Hafen spazieren. Sommerahnungen. Ausspannen. Aufatmen. Aber ach! Baldiger Aufbruch. Rückfahrt nach Hause. Urlaubsende. Wann kann man nochmal Frühjahr atmen?

von Katharina Körting:

Wasser fällt sanft auf das Land
Sanfter als Lächeln: als aprilfarbenes Lauschen
(Allerdings schauen an karibischen Stränden andere Augen
Auf andere Heimat
Papieren achtlos andere Frauen an anderen Aprilfäden vorläufigen Buchstabenmatsch aus
Land, das sanft fällt auf Wasser)

Balz von Urs Küenzi

Küchenmarie backt Anfang April Orangen-Polenta-Flan, alles an A, Ai und Ä von Küchenmarie

Fernab von Hedda Lenz

Fernab

Allee nach Allee,

Nachtgedanken –

am Firmament

das Verhallen

vager Sätze,

unausgesprochen

fernab aller

traumverschlungenen

Silbenpfade.

Alles von Fee

Anders wäre wunderbar von Miss Novice

Ein Gedicht von Sabine Marx

Aprilreflexionen auf autobiografisch Abgelebtes von Kirsten Alers:

Aprilreflexionen auf autobiografisch Abgelebtes
Am Anfang, ach, am Anfang außerhalb aller Ahnungen: abgehoben, abgenabelt, ausgezogen. Ahnenstaub ausgeatmet. Alte Antworten attackiert, andernorts andere Antworten ausgehalten, abermals ängstlich Angesagtes abgelehnt. Abtrünnig atheistisch abseits angekommen. Anker ausgeworfen, angedockt an allerhand. Achtung angesichts absurder Ansichten angenommen, Artgenossen angeschrieen, Artgenossinnen angebetet, Abgöttisches auserkoren aus Abscheulichkeiten, Ähnliches abgelehnt, aussortiert, ausgespuckt. Als Amazone auch Arkadien aufgesucht. Äste absichtlich angesägt. Anfechtungen ausgesetzt. Aufgerissen. Auseinandergefallen. Abwärts abgerutscht. Aderlass am Aschermittwoch. Argumentieren ausgesetzt. Alles ächzt, alles altert, aber alles atmet auch …

 Aprilnächte von Shakti

April, genannt „Launischer“ von Margarete

Alles auf Anfang  von Mo…Saiks Runen

Frühlingserwachen von Christiane

Aprilis von Silvia

Fahrt nach an Ankara von Susanne alias 12andereWege

Maientanz, mal anders! von Sabine Hinterberger

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Gerne könnt ihr das Titelbild dieses Blogbeitrags bei euch verwenden. Als andere Stimmungs-Varianten stehen auch diese Bilder zur Verfügung:

K – Kusskultur

Der Kuss ist allgegenwärtig und wird in allen Kunstformen zelebriert – als Mythos und Sinnbild der Liebe. Höchste Zeit, mich in meinem Liebeslabor diesem Phänomen zuzuwenden.

Zur bildlichen Einstimmung – letzten Sommer war ich im Bröhan-Museum Berlin, wo eine ganze Ausstellung dem Kuss gewidmet war.
Eine Künstlerin hat ein ganzes Zimmer mit ihren Küssen bedeckt.

Der Kuss ist Indikator und Katalysator für die aufkeimende Liebe – besonders der erste Kuss spielt eine entscheidende Rolle. Für meine Analyse nehme ich mir das wohl berühmteste Liebespaar aus der Literatur vor: Romeo und Julia von William Shakespeare.

Ihre Liebesgeschichte begleitet mich schon lange: Als Jugendliche habe ich zusammen mit meinen Schwestern die wunderbare Filmversion von Franco Zeffirelli (1968) zig Mal angesehen. Als Studentin stand ich im Londoner Globe Theatre im „court yard“ wie zu Shakespeares Zeiten und war mitten drinnen im leidenschaftlichen und tragischen Abenteuer der jungen Liebenden. Im Laufe der Jahre bin ich auch in den Genuss einiger musikalischer Umsetzungen gekommen – als „comédie musicale“ von Gérard Presgurvic in Frankreich (um die 2000er als Studentin) und auf der Opernbühne.

Jetzt aber zum ersten Kuss von Romeo und Julia: Bei ihrer ersten Begegnung auf dem Ball im Hause Capulet kreuzt Romeo als Partycrasher auf und verliebt sich sofort in die Tochter seines Feindes. Nach dem ersten Tanz umkreisen ihre Lippen ziemlich schnell den Kuss – erst nur in Worten, dann in Taten (hier das Video). Den tollen Text dieses Dialogs möchte ich euch nicht vorenthalten (als pdf – nur 1 Seite: Romeo und Julia_Text Kuss ).

Es kommt mir fast wie ein Sakrileg vor, diese Komposition von Shakespeare in meinem Labor zu liquidieren – dabei fällt mir auf, dass das Wort „Heilige“ ziemlich oft vorkommt. Das bringt mich auf die Idee, die Essenz der Szene nach Worthäufigkeit zu filtern. Heraus kommt ein laborwürdiges Trichter-Gedicht.

HeiligeHeiligeHeiligeHeiligeHeiligeHeilige

HandHandHandHandHandHand

MundMundMund

SündSündSünd

LippenLippen

HoldeHolde

KussKuss

Gunst

Kunst

Auch im weiteren Verlauf des Liebesdramas zieht sich der Kuss als lippenroter Faden durch die Handlung – in der Balkonszene und in der Hochzeitsnacht schmecken die Küsse noch süß, in der Gruft hängt bitteres Gift an den Lippen der Liebenden.

Ihre Liebe kennt keine Kompromisse, die Feindschaft ihrer Familien trennt sie, für das unglückliche Paar gibt es nur einen Ausweg: den gemeinsamen Tod. Passend hierzu möchte ich ihre Geschichte nun als Monovokalise interpretieren – natürlich auf „u“ zu Kuss (d.h. ich verwende ausschließlich Wörter mit diesem einen Vokal). Gleichzeitig gibt es einen Echo-Effekt.

Ich hoffe, Shakespeare kann mir verzeihen, dass ich Nachtigall und Lerche in der Hochzeitsnacht durch einen Uhu ersetzen muss.

Bevor es losgeht – wer noch schnell ein Plotupdate haben möchte, der kann sich diese Playmobil-Version (Dauer: 2 min) anschauen .

Lud zur Rund

Rund und Ulk

Ulk und Gruß

Gruß und Gunst

Gunst tut kund

Kund und Mund

Mund und Bund

Bund trug Schwur

Schwur und Stund

Stund schlug Wund

Wund lud Wut

Wut und Mut

Mut trug Blut

Blut schlug Bund

Bund und Kuss

Kuss und uh

uh uh Uhu

Uhu zum Umzug

Umzug und Verdruss

Verdruss und Muss

Muss zu Lug

Lug und Trug

trug zum Trunk

Trunk und Ruh

Ruh Trug schluss

Schluss und Gruft

Gruft und Kuss

Kuss und Schluss

Schluss trug Kuss

Übrigens ist die Monovolkalise (im Englischen: Univocalism) eine beliebte „contrainte“ im Katalog der Oulipoten. Hier ein Beispiel von Ian Monk auf „a“.

„And, Armand d’Artagnan, a man that plans all, a crack à la Batman, darts past that pampa, wafts an arm and grabs Andras. As, last March at an Arkansas bar …“

Wenn ich an Romeo und Julia als jugendliches Liebespaar denke, klingt mir noch ein anderes Echo aus meinen Jugendtagen in den Ohren: Als 15-jährige habe ich 3 Monate in Cornwall bei einer Gastfamilie gelebt und bin dort zur Schule gegangen. In dieser Zeit habe ich einige Briefe nach Hause geschrieben und auch von meinem Opa Heinz Post bekommen – in großväterlicher Fürsorge und aus der Erfahrung seiner über 50-jährigen glücklichen Ehe hat er einige Weisheiten zur Liebe und zum Kuss mit mir geteilt – eine Formulierung hat damals so großen Eindruck auf mich gemacht, dass ich sie bis heute noch wortgetreu im Kopf habe – nämlich dass Küsse „durststillend, nahrhaft und würzig“ seien.

Als ich letztes Wochenende auf Familienbesuch war, habe ich auf dem Dachboden in meinem Archiv sogar den Originalbrief (aus 1993) wiedergefunden:

Das führt mich dazu, den Kuss nun weiter aus Sicht der Wissenschaft zu analysieren – schließlich ist der Kuss in allen Kulturen dieser Welt vertreten – auch in der Bakterienkultur. Bei der Recherche im Internet bin ich auf diesen Artikel gestoßen: Küssen ist gesund (Bankhofer Gesundheitstipps). Ich extrahiere das Textmaterial unter den Titeln „Der Kuss als Naturheilmittel„, „Küssen fördert Liebeshormone“ und „10 Tipps für den gesunden Kuss“ und gebe es in meinen „ink tank“ zum Tintentest in meinem linguistischen Labor.

Da zum Küssen immer Zwei gehören, werde ich nun jedes dritte Wort aus diesem Text mit blauer Tinte fluten und verschwinden lassen. Zwei mal.

Versuchs-Stadium 2

Aus diesen Schwebeelementen kultiviere ich einen neuen Kuss-Text. Als Wachstumsbeschleuniger gebe ich die drei Wörter (durststillend, nahrhaft würzig) von meinem Opa hinzu. Es ist jammerschade, dass sich die „französischen Zahnärzte“ aus dem Ursprungstext aufgelöst haben. Deshalb lasse ich sie in Synonymen in der Überschrift wieder erscheinen.

Dentisten aus dem Land der Croissants-Connaisseure empfehlen

Der Kuss hat eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Nach Studienergebnissen steigt der Herzschlag auf 110 zu 108. Der Kreislauf hat Schwung, die Durchblutung ist die beste Lunge: 20 danach 60 Atemzüge. Beim intensiven und würzigen Kuss aktiviert sich Gesicht, Mund und Kiefer. 15 depressive Zustände und Ängste weiß die freudige Heerschar von Lippen und Zungen frei zu bekämpfen. Selbstverständlich entkrampft ein Kuss schnell lästigen Schluckauf. Ein Kuss ist eine absolute durststillende Welt. Er ändert das Milieu im Mund. Ein angeregter kleiner Kuss von intensiv gewollten Lippen bremst Karies. Die zärtliche Berührung der Hände verstärkt den Kuss – bei mindestens 2 Minuten kommt es zur stimulierenden Wirkung. Heilsam und selbstverständlich leiten Zungen nahrhaft weiter und zumindest zeitweise stärken Augen die Atmosphäre. Der Kuss ist ein harmonisches Verharren. Übliche Bussi-Partys haben die geringste Wirkung.

Die Versuche in meinem Liebeslabor sind nun abgeschlossen. Haben Hochkultur und Wissenschaft mir Antworten zu meinen Fragen in Sachen Liebe und Partnerwahl liefern können? Nicht verzagen, den Bauern könnte ich noch fragen.

In einem Film-Favoriten aus meiner Kindheit „Kohlhiesls Töchter“ (mit Liselotte Pulver, aus dem Jahr 1962) gibt es eine Bauernweisheit, die ich noch mit euch teilen möchte:

In Zeiten vor Online-Dating und „Bauer sucht Frau“ gibt Vater Kohlhiesl für seine garstige Tochter Susi eine Kontaktanzeige in der Zeitung auf – denn nur wenn Susi heiratet, darf deren liebliche Zwillingsschwester Liesl auch heiraten – gemäß Totenbettwunsch der Mutter. Die Anzeige lockt jede Menge Heiratswillige und -schwindler ins Haus, es gibt die unvermeidlichen Verwicklungen und zu guter Letzt läuten für beide Schwestern die Hochzeitsglocken.

In einem gemeinsamen Liedchen besingen die Schwestern das Liebesdilemma von Kratzbürste Susi (hier das Video):

„Jedes Töpfchen find‘ sein Deckelchen, jeder Kater find‘ die Katz, jedes Knöpfchen find‘ sein Fleckelchen, jedes Mädchen seinen Schatz.“

Nun ist meine Rundschau zu diesem Thema wirklich komplett. Mein Labor- Fazit kommt als Gedicht daher:

Habe recherchiert

die Onlinewahl und die Datingqual

Habe kultiviert

die Romantik und die Semantik

Habe kondensiert

die Phonetik und die Poetik

Habe gehört

den Klang und den Gesang

Habe geschrieben

den Widerhall und den Morgenschall

Habe gefragt

den Kater und die Katz

Egal welch‘ Rat oder Kriterium

Die Liebe bleibt ein Mysterium

Komplementäres Testresultat (kussecht):

Die Zweisamkeit mit einem (perfekten) Partner ist nicht die einzige und beste Form für ein zufriedenes Leben – auch wenn diese Suggestion sich in Alltag und Kultur kumuliert.

31. März 2018

Tipp: Wer den Kuss auch in kulinarischer Hinsicht genießen möchte, der kann sich ein „Küsschen, Küsschen“ bei der Küchenmarie abholen.

B – Butterfly

Heute beleuchte ich in meinem Liebeslabor die leidenschaftliche Liebe – die keine Barrieren von Kulturen und Sprachen kennt, die betört und blendet, die begehrt statt begutachtet. Wo finde ich die besten Beispiele hierfür: Natürlich in der Oper.

Madama Butterfly von Giacomo Puccini (uraufgeführt 1904) ist die Oper, bei der ich als Studentin meine Begeisterung für diese Kunstform entdeckt habe – im Saarländischen Staatstheater 2001.

Mich zieht die rauschhafte Musik in ihren Bann, die einzigartigen Stimmen der Sängerinnen und Sänger, diese Weltentrückheit gepaart mit Wahrhaftigkeit. Auch auf intellektueller Ebene gibt es allerhand zu entdecken, insbesondere zu den oft haarsträubenden Inszenierungen von so manchen Regisseuren, die alles neu- und umdeuten wollen. Über meine Eindrücke kann ich mich stundenlang mit anderen Begeisterten austauschen und oft halte ich meine Impressionen auch schriftlich fest.

Letzte Woche habe ich an der Deutschen Oper Berlin mal wieder das Vergnügen mit Madama Butterfly gehabt – und nehme nun das Libretto (so heißt der Text in der Oper) in meinem Labor genauer unter die Lupe.

Ich betrachte die große Liebesszene (Hochzeitsnacht) zwischen Butterfly und Pinkerton. Welche Geheimnisse kann ich in der Sprache enthüllen? Doch zuvor gönnt euch doch einen musikalischen Eindruck – leider kann ein Video niemals an das Live-Erlebnis im Opernhaus heran reichen. Placido Domingo betört als leidenschaftlicher Liebhaber (achtet mal auf das „vieni, vieni“ – „komm, komm“ –  gegen Ende) und Mirella Freni ist mit zauberhafter Sopran-Süße ein idealer Schmetterling.

So beginnt es: Der Seemann Benjamin Franklin Pinkerton, Leutnant der Marine der USA, hat sich vom Heiratsvermittler die Geisha Cio-Cio-San (genannt Butterfly) für eine Ehe auf Zeit vermitteln lassen („Nun verheirat‘ ich mich auf japanisch, für neunhundert und neunundneunzig Jahre; freilich darf ich kündigen jeden Monat“). Das 15-jährige Mädchen verliebt sich in den schönen Fremden. Sie tauscht ihren japanischen Namen gegen „Butterfly“ ein und nimmt sogar seine Religion an.

Pinkerton benimmt sich während der Hochzeitszeremonie wie ein Elefant im Porzellanladen und trampelt über die japanische Kultur und Sitten hinweg (er: „Hip! Hip!“ – die japanischen Verwandten: „O Kame! O Kame!“). Man ahnt schon, dass er einen Scherbenhaufen hinterlassen wird.

Im linguistischen Laborversuch untersuche ich nun, was die beiden im Duett der Hochzeitsnacht an unterschiedlichen Wünsche und Vorstellungen äußern. Das Libretto in unbehandelter Form als Synopse italienisch/deutsch könnte ihr hier finden: Libretto Butterfly-Synopse

Nach Einsatz von Essenz-Filter und Interpretations-Zentrifuge und habe ich ein erstes Ergebnis mit instabiler Beziehungskonsistenz:

Nach Verdunstung der Bindemittel und Abzug des rosa-roten Nebels ergibt sich ein verfestigtes Beziehungsbild für Pinkerton und für Butterfly – hier werden ihre jeweiligen wahren Wünsche (und in ihrem Fall auch Befürchtungen) sichtbar.

Komm, komm – sei mein! (Vieni, vieni – sei mia!)

Zuletzt mache ich den Übereinstimmungstest. Hierzu drucke ich beide Testergebnisse übereinander. Für Pinkerton kommt dabei das rot-blau seiner amerikanischen Flagge zum Vorschein. Er drückt ihr mit männlicher und westlicher Dominanz seinen Stempel auf.

Dieses Beziehungsporträt ziert nun meine hauseigene Schmetterlingssammlung.

Hätte Butterfly über Finya nach einem Partner gesucht, wäre Pinkerton sicherlich vom Filter ausgesiebt worden – und mit ihm die Leidenschaft.

Übrigens hat Puccinis Oper den Schriftsteller David Henry Hwang zum Theaterstück „M. Butterfly“ inspiriert (Danke an meine Schwester Dorit, die das Stück als Studentin in den USA gesehen und mir davon erzählt hat). Das Stück beruht auf einer wahren Begebenheit und erzählt die Geschichte eines französischen Diplomaten (René Gallimard), der 1964 in Peking die Diva (Song Liling) der dortigen Oper und Madama Butterfly-Darsteller kennen lernt und eine Liebesaffäre beginnt, in deren Verlauf Butterfly den Mann des Westens im Auftrag des chinesischen Geheimdienstes ausspioniert. Überraschung: Butterfly ist in Wirklichkeit ein Mann.

In dieser Adaption des Butterfly-Stoffes spielen also die Geschlechterrollen und die Dominanz von (kolonialer) westlicher über östliche Kultur eine tragende Rolle – unabhängig vom biologischen Geschlecht der Protagonisten. Der französische Diplomat erliegt der Illusion – seiner Idealvorstellung der unterwürfigen asiatischen Frau, er schaut nicht hinter die Maske aus Schminke, Kleidung und Gebärden.

Wollt ihr Butterfly ungeschminkt sehen?

Butterfly – hinter der Maske

Das Theaterstück wurde 1993 mit Jeremy Irons und John Lone verfilmt. Ich habe mir den Film kürzlich mit großer Faszination angesehen und kann ihn euch empfehlen. Hier einige Schlüsselszenen: Illusion, Desillusion und Selbsterkenntnis.

Das lässt mich an die Oulipienne Anne F. Garréta denken, die in ihrem Roman Sphinx(erschienen 1986) der contrainte folgt, das jeweilige Geschlecht des erzählenden „Ich“ wie das seines Lebenspartners A*** unbestimmt zu lassen. Mit dieser „geschlechtsneutralen“ Erzählweise will sie Gender-Stereotypen in den Köpfen der Leser*innen ins Bewusstsein rücken.

Meine Eindrücke zum Film „M. Butterfly“ möchte ich in ein geschlechtsloses Gedicht fassen:

Butterfly blendet

mit weißem Gesicht

betörend das Gegenüber

im Flügelgewand

ohne Gewicht

ohne Land

fliegt selbst

ins weiße Licht

Das regt mich dazu an, das Libretto von Madama Butterfly auch in Bezug auf die sprachlichen Geschlechterformen einem Test zu unterziehen.

Hierzu kondensiere ich aus dem Wörterfundus ein Substrat aus Substantiven, die ich dann nach ihren Artikeln (weiblich, neutral, männlich) sortiere. Hieraus bilde ich – mit Interpretationsfaktor X hoch 10 – ein Gedicht, das die „Chemie“ des ungleichen Liebespaares charakterisiert (mit bewusst stereotypischer Farbgebung):

SIE

Ich bin die Göttin

Ich bin die leise Nacht

Ich bin die Brücke

Ich bin die Ferne

Ich bin die Worte

Ich bin die Schmerzen

Ich bin die Stille

Ich bin die Demut

Ich bin die Erde

Ich bin die hellen Äuglein

Ich bin die holde Nacht

Ich bin die Liebe

(Das „wir“)

Das Himmelsgefilde ist unser Gewand

Das Licht ist unser Leben

Das Lachen ist unser Herz

Das Auge ist unser Wörtlein

Das leise Kosen ist unser Lieben

Das Gewell‘ auf dem Meere ist unser Land

Das Ja ist unser Oh

(ER)

Ich bin dein Zauber

Ich bin dein Schmuck

Ich bin dein Wahn

Ich bin dein Jubel

Ich bin dein rechter Name

Ich bin dein Zweifel

Ich bin dein Schlummer

Ich bin dein Kummer

Bleiben wir in Asien und bei Puccini: In der (Märchen-) Oper Turandot finden wir (zunächst) ein umgekehrtes Machtverhältnis vor. Die chinesische Prinzessin Turandot soll verheiratet werden. Immerhin darf sie ihren Bräutigam selbst auswählen. Die Anwärter müssen ein Date der besonderen Art durchstehen: Turandot stellt dem potentiellen Partner 3 Rätselfragen. Wenn er nicht die richtigen Antworten gibt, wird ihm der Kopf abgeschlagen.

Calaf (Tenor), ein unerkannter Prinz, verliebt sich auf den ersten Blick in die grausame Eisprinzessin und riskiert sein Leben im Rätselringen. Er ist siegreich und Turandot muss sich ihm unterwerfen. Auch die Sklavin Liu (die heimlich in Calaf verliebt ist), opfert sich für den Mann. Puccini selbst starb (1924), bevor er das Ende der Oper komponieren konnte. Das kitschige Finale, in dem Turandot psychologisch unmotiviert plötzlich auch Gefühle für ihren Bezwinger entwickelt, stammt aus der Feder eines anderen Komponisten Franco Alfano.

Obwohl Turandot definitiv nicht zu meinen Lieblingsopern gehört, habe ich gestern Abend im Nationaltheater Mannheim (meiner alten Opern-Heimat) eine Aufführung erlebt – der ekstatische Gesang und die bombastische Musik haben mich letztlich doch im Gefühlsstrudel mitgerissen. Der Kreis zu Madama Butterfly schließt sich, denn die Sopranistin Galina Shesterneva (bzw. Gleber – sie hat nach Heirat den Namen ihres Mannes angenommen) habe ich schon vor 10 Jahren als Butterfly an diesem Haus gehört und schätze diese Sängerin sehr.

Die Rätsel der Turandot sind nicht nur unterhaltsam, sondern regen mich auch dazu an, sie sprachlich umzugestalten – was würde sich hierfür mehr anbieten, als das HAIKU – eine traditionelle japanische Gedichtform. In der europäischen Umsetzung ist das Gedicht ein Dreizeiler bestehend aus drei Wortgruppen von 5 – 7 – 5 Lauteinheiten (Moren). Wesensmerkmals des Haiku sind Konkretheit, der Bezug zur Gegenwart und Natur (Jahreszeit), Gefühle werden selten benannt, sondern sollen sich aus dem Zusammenhang erschließen.

Rätsel Nr. 2

„Lodernd gleich einer Flamme,
und doch selbst keine Flamme,
manchmal rasend im Fieber,
und ungestüm verlangend!
In Ruhe sich verzehrend wie die Sehnsucht!
Wenn du zugrunde gehest, wird es kalt!
Wenn du den Sieg erträumst, glüht es auf!
Eine Stimme hat es, der du bebend lauschest,
und gleich der Son’ am Abend ist sein Glanz!“

Als Haiku:

Roter Lebenssaft

strömst ohne Quelle im Rund

herrschst so heiß und kalt

Rätsel Nr. 3:

„Eis, das sich entzündet
und durch dein Feuer noch mehr erstarret!
Klar ist’s und doch dunkel!
Wenn’s frei dich will,
so mehrt es deine Knechtschaft!
Wenn es zum Knecht dich nimmt,
so wirst du König!“

Als Haiku:

Fleisch wird Element

zerstört oder erhebt dich

Liebeswahl tut Not

Wer weiß die Lösungen?

Bindung und Befreiung – Butterfly fliegt?

Wie ihr merkt, ist es um die Überlebenschancen für Frauen in der (ital. und frz.) Oper des 19. Jahrhundert bis in die 1920er Jahre nicht gerade rosig bestellt. Die Oper war niemals nur pure Unterhaltung, sondern immer auch ein Gesellschaftsporträt, durchaus sozialkritisch und zuweilen politisch.

Die stärkste Frauenfigur aus dieser Zeit ist George Bizets „Carmen“ – die sich und ihre Liebe als „rebellischen Vogel“ beschreibt. Aber auch sie lässt sich zum Schluss von ihrem Ex-Liebhaber erdolchen – in der Weigerung, sich ihm zu unterwerfen – das galt zur Entstehungszeit (1875) als außergewöhnlicher Akt weiblicher Selbstbestimmung und Freiheit.

Auch bei Puccini gibt es einen weiblichen Zugvogel, die Schwalbe („La Rondine“): Eine freiheitsliebende Frau lässt sich von ihrem jüngeren Liebhaber nicht an Heim und Herd binden.

Ein Jahrhundert später hat dieser Opernstoff nichts an seiner Aktualität verloren – oder wie sieht es heute wirklich mit der Gleichberechtigung der Frau in Partnerschaft und Berufsleben aus? Ich merke schon, die Opern-Ornithologie bietet mir noch einigen Stoff für weitere Beiträge.

Wer jetzt (hoffentlich) Lust auf Oper bekommen hat – ich biete mich als Begleiterin an. Große Gefühle & Gedanken und ( Berliner ) Bühnenblut garantiert!

Gestern bei Turandot im Nationaltheater Mannheim

L – Liebeslabor

Willkommen in meinem Labor! Ich untersuche die Liebe und werde Lupe und Lackmus-Test durch Linguistik ersetzen (im Verhältnis 1:1).

Kommt mit auf meine Forschungsreise ins „Kreative Schreiben in der Ästhetischen Bildung“ (für dieses Studien-Modul ist Ende März mein Forschungsbericht fällig).

Ich gehe der Frage: „Warum suchen wir nach dem perfekten Partner?“ nach und werde mich hierzu in die Bereiche von Musik, Film, Literatur, Kunst, Wissenschaft und Alltagserfahrungen begeben.

Meine Eindrücke werde ich schreibend verarbeiten – wobei ich hierbei das volle Potential der Sprache ausschöpfen möchte, indem ich die Oulipotischen „contraintes“ auf meine Texte anwende.

Die Autoren der „Werkstatt für Potentielle Literatur“ OuLiPo (L‘ Ouvroir de Littérature Potentielle) haben sich formale oder inhaltliche Textbildungsregelungen (contraintes) auferlegt, um verborgene Potentiale der Sprache zu entdecken. Auch Literatur der Vergangenheit (Texte anderer Autoren) werden als ein Fundus und zum kombinationsfähiges Material für das eigene Schaffen angesehen.

Los geht’s mit meiner Liebesforschung. Im Alltag begegnet mir das Versprechen: „Alle 11 Minuten verliebt sich ein Single über PARSHIP“ – es prangt mir Vielerorts von Plakatwänden entgegen. Im Internet rufe ich für meine Forschung die Seite von Parship auf, aber sofern ich deren Kassen nicht klingeln lasse, komme ich über die Startseite nicht hinaus.

Schnell werde ich jedoch bei Finya fündig, die sich „kostenloses Flirten“ auf ihre Fahnen geschrieben haben. Dort bringt ein toller Text (siehe Absatz mit Zwischenüberschrift: „Finden Sie heute noch Singles, die zu Ihnen passen“) die Versprechungen und Methoden der Partnersuche nach perfekter Passform auf den Punkt. Diesen Wörter-Fundus werde ich nun in meinem Liebeslabor untersuchen.

Meine Laborergebnisse kann ich sogar mit meinen praktischen Erfahrungswerten abgleichen – vor etwa 3 Jahren hatte ich mich bei Finya mal angemeldet und für einige Wochen den Feldversuch durchgeführt.

Als oulipotische Schreibregel wende ich „La contrainte du prisonnier“ – Die Einschränkung des Gefangenen auf diesen Text an.

Als Idee steckt dahinter: Ein Gefangener hat in seiner Zelle wenig Schreibplatz. Ziel: Möglichst viele Buchstaben auf wenig Raum unterbringen. Deshalb sind nur Wörter ohne Auf- und Abstrich erlaubt. D.h. wenn ihr euch die Buchstaben in einer Lineatur vorstellt, dann stehen nur die Buchstaben zur Verfügung, die in der mittleren Spur verlaufen.

Erlaubt sind: a, c, e, i, m, n, o, r, s, u, v, w, x – auch ä,ü,ö (bin mal großzügig, da ich auch den i-Punkt zulasse, Puristen schließen in dieser contrainte auch die Umlaute aus, ebenso wie Buchstaben mit Akzenten). Ausgeschlossen sind: b, d, f, g, h, j, k, l, p, q, t, y

Ich finde, diese contrainte spiegelt die Filtermethoden der Partnersuche gut wider. Hier das Ergebnis (alles klein geschrieben):

Aus den Wörtern, die meinen Suchanforderungen entsprechen, forme ich ein Gedicht (von der Form angelehnt an den „Schneeball“ von Harry Mathews ), das ich „Liebe in Lineatur“ nenne.

Na, hat sich der Traum erfüllt? Ich bin selbst erstaunt, wie gut dieses Gedicht mit seinen Wiederholungen und seiner Eintönigkeit die Begrenztheit der Partnerwahl im engen Raster abbildet. Zufälligerweise wird das Gedicht eingerahmt von „sie zu“, was in meinen Ohren auch ein bisschen wie „Sieh zu“ klingt – dieser Appellcharakter an Singles, schnell einen Partner finden zu müssen, damit man nicht als Zivilisationsversager dasteht, ist in der Werbung für Partnerbörsen sehr präsent.

Wenn ich mir den Lückentext oben so ansehe, lachen mich die vielen Stilblüten am Wegesrand an, die alles andere als blassrosa sind. Die kann ich nicht ungepflückt stehen zu lassen! Besonders gut gezüchtet finde ich: „Singles aus Ihrer Region“ – dann bitte bio und freilaufend.

Tatsächlich habe ich – in meiner kurzen Finya-Zeit – diese Profilbildbewertung nach Attraktivität als reinste Fleischbeschau empfunden. Am ersten Tag stürzen sich alle Börsennutzer auf das „Frischfleisch“ und mein Attraktivitätsfaktor liegt bei 8, irgendwas. Jedoch nach kurzer Zeit entscheiden sich die „User“ im Konkurrenz-Voting für die hochattraktiven Neuzugänge (und die „verbrannte Erde“, wenn man auf einige Zuschriften nicht geantwortet hat, tut ihr Übriges). Ich kann dabei zusehen, wie meine Attraktivität von Tag zu Tag sinkt – ungefähr proportional mit der Hoffnung, hier einen potentiellen Partner kennenzulernen.

Sprachlich nehme ich mir jetzt den „Wörterblumenstrauß“ der Aussortierten vor. Beim Gedicht nennen die Oulipoten diese contrainte „poème fondus“ – Geschmolzene Gedichte, d.h. man pickt aus einen Ausgangstext einige Wörter heraus und schreibt daraus einen neuen Text (Gedicht).

Mein Schmalz, äh Schmelz-Ergebnis (was mich „anzupft“, weil bizarr oder typisch): „Finden Singles passen – Profilliste der User filtern – ausschließlich Singles aus Ihrer Region – Filterkriterium – bevorzugen – von Angesicht zu Angesicht – besonders attraktiv – Voting-Feature – Punktzahl zwischen 0 und 10 – hinsichtlich ihrer Attraktivität einzugrenzen – kostenlos – gegenseitig ein wenig beschnuppern – auskundschaften – ganz natürlich – einfach zu bewerkstelligen – Traumprinz – Traumfrau – aufregender Flirt – Beginn einer innigen Freundschaft – Nähe“

Hieraus bilde ich ein Gedicht, wobei ich den Methoden der online Partnersuche treu bleibe: Sortieren (alphabetisch), kurz und effizient (keine Füllwörter), entweder/oder, top /flop, 0/1 (Computersprache). Das Ergebnis ist dieses Gedicht, das ich Lamellen-Liebe taufe.

Zur Überprüfung des linguistischen Ergebnisses wende ich nun den praktischen Liebes-Lackmus-Test an. Mein Resultat (in eigenen Worten aus eigener Erfahrung):

filtern statt flirten

bewerben statt werben

hemmungslos statt höflich

Geschäft statt Gefühl

Liebesindikator: 0

Mein Fazit zu Finya möchte ich noch in Form eines Anagramms ausdrücken:

„kostenlos flirten“ wird zu „Stil roste – flenn k.o.“

Inspiriert hierzu hat mich das Anagramm von Raphael Enthoven: „carpe diem“ wird zu „ça déprime“.

Zur nicht-chemischen Aufhellung der Stimmung empfehle ich: Let’s do it (Let’s fall in love)“ von Cole Porter (Songtext zum Nachlesen hier).

Durch diesen humorvollen musikalischen Liebes-Schwung fühle ich mich animiert zu einer neuen Textfassung. Wie wäre es mit einem Pastiche zu: „Alphabet“ von Inger Christensen (mit Fibonacci-Folge)?

Die Schreibregel  lautet also: A – 1 Zeile, B – 2 Zeilen, C – 3 Zeilen, D – 5 Zeilen, E – 8 Zeilen, F – 13 Zeilen usw.

Lass es uns tun – lass uns uns verlieben

Ameisen tun es, Amerikaner tun es, alle tun es

Bienen tun es mit botanischen Blüten

Bestien tun es mit blasierten Bildschönen

Chauvinisten tun es mit Cha Cha und Can-Can

Clanchefs tun es mit Colts und treffen Cherubin

Cäsar tat es mit Cleopatra und Cupido sah zu

Dandys tun es mit Divas und Dekorum

Drückeberger tun es doch oh Donnerwetter

Draufgänger tun es mit Dynamik und dual

Diebe tun es mit der Dunkelheit

Dionysos tat es mit Delirium

Earls tun es in Edinburgh mit Etikette

Elben tun es in Eriador mit Esoterik

Eintagsfliegen tun es eilig und mit Endlichkeit

Entertainer tun es mit dem Erfolg

Egomanen tun es mit dem Ebenbild

Einsiedlern ist es egal

Entdecker tun es mit der Eroberung

Eva tat es mit Adam und Eden war am Ende

Filous tun es wohl frivol in Frankreich

Fehlen noch 12 Zeilen mit F. Freunde, helft mir Verse finden – ich führe das Gedicht mit Freuden fort!

Fische tun es im Fliegen
Fantasie tut es flitternd und flimmernd mit fantasmorgiastischem Finale
Filmstars tun es fashion-like in Film und Fernsehen
Flamingos tun es im Flachen im fuchsiaroten Federkleid
Fachmänner- und Frauen tun es im Fachjargon
Fakire tun es mit Feingefühl
Fibonacci tat es folgsam

(Vielen Dank liebe Mo!)

Fazit meiner ersten Labor-Einheit: Im Gegensatz zum Dating-Filter finde ich den Sprach-Filter durch die contraintes äußerst bereichernd. Durch das Bohren auf der Buchstabenbaustelle lassen sich wirklich einige versteckte Potentiale der Sprache ans Licht bringen. Das macht Spaß!

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