Willkommen zu Grünraums Blogadventkalender 2019. Auch in diesem Advent gibt es wieder eine spannende Gemeinschaftsgeschichte. Was bisher geschah (in kursiv):
Scheiß Verspätung immer!“, schimpfte Henni und trat von einem Bein auf das andere. Es war bereits dunkel und dazu noch typisch nasskaltes Dezemberwetter. Zu allem Überfluss hatte sie auch noch keine Zigaretten mehr. Ihre ehemals wasserfeste Winterjacke, ein Geschenk von Uwe, dem alten Haudegen, hatte ihre besten Jahre auch hinter sich.
„Ach Henni!“, seufzte sie. Nur ihre Mutter rief sie mit ihrem vollem Namen Henriette. „Wir sind schon ganz schön alt geworden, wir beide.“ Sie merkte gar nicht mehr, dass sie mit sich selbst sprach.
Der Junge, der neben ihr im Buswartehäuschen stand, schaute sie irritiert an. Sie zuckte mit den Schultern und entdeckte in dem Moment auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine beleuchtete Leiter, die an einen Baum gelehnt war.
„Junge, sieht du das auch?“, fragte sie. Er drehte demonstrativ seinen Kopf zur Seite. Henni seufzte erneut. Wo war sie nur hingegangen, die Phantasie der Menschheit, ihre Traumbereitschaft, ihr Wunsch, leuchtenden Leitern in den Himmeln zu folgen und dort wem auch immer zu begegnen. Sollte sie vielleicht noch einen Vorstoß wagen?
„Hast du mal eine Zigarette für mich?“ fragte sie vorsichtig den von ihr abgekehrten schmalen Rücken in seiner viel zu großen Felljacke. Ob er wohl glaubte, dass er eines Tages in diese Jacke hineinwüchse? Vielleicht führte die Leuchtleiter direkt zu seinem Ziel, dabei fiel Henni das Monopoly Spiel ein und den Spruch, den sie tausendmal zu Hause gesagt hat: „Gehen Sie direkt ins Gefängnis, gehen Sie nicht über Los!“
Der junge Mann drehte sich verwundert um…
Türchen 3:
Er zog den Stöpsel des In-ear-wireless-Kopfhörers aus seinem linken Ohr – Henni sah, dass seine Ohrmuschel sehr groß und an den Rändern ganz rot vor Kälte war.
„Wie bitte?“, fragte der Junge mit den großen Ohren. Henni führte ihre zwei zigarettenlosen Finger in einer Rauchergeste zum Mund. Der Junge verstand und schüttelte bedauernd den Kopf. In diesem Moment kam der verspätete Bus um die Ecke und rollte in gemächlichem Tempo auf die Haltestelle mit den zwei Wartenden zu. Der Junge kramte in den tiefen Taschen seiner Felljacke nach dem Fahrschein.
„Jetzt bist du gleich im Warmen, Henni“, murmelte Henni. Sie hatte keine Zeit sich zu wundern, warum der Bus an diesem geschäftigen Adventsabend im Innern dunkel war und ohne Passagiere zu fahren schien – und was hatten die gelb leuchtenden Buchstaben „L-E-V“ in der Zielanzeige über der Windschutzscheibe zu bedeuten? Der Bus kam direkt vor ihrer Nase zu einem Halt und die Türen öffneten sich mit einem hydraulischen Seufzen. Eine Frau in einer gelben Weste mit Reflexionsstreifen stieg aus und verstellte ihr den Weg zum Einsteigen. Die Türen des Busses schlossen sich zischend und das Gefährt verschwand in der regennassen Nacht.
„Was soll das?“, wollte der Junge wissen und stapfte ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.
„Heute haben wir Leiter-Ersatz-Verkehr“, verkündete die Frau und deutete auf den Baum, an dem die leuchtende Leiter lehnte.
Morgen öffnet sich Törchen 4 bei Michaela und dort geht die Geschichte weiter.
(Das Titelfoto stammt von Anne Winckler)