Jonas Kaufmann verführt und lässt sich verführen – umjubelte Puccini-Gala in Bremen

Die Glocke – Das Bremer Konzerthaus, 6. November 2024

Die Klassikwelt feiert 2024 den Meister der vertonten Leidenschaft: Giacomo Puccini, der in diesem Jahr vor 100 Jahren starb. Kein Wunder also, dass Startenor Jonas Kaufmann zum Jubiläum eine musikalische Hommage an den genialen Komponisten in Form eines Duett-Albums herausgebracht hat. In „Puccini: Love Affairs“ besingt der Tenor zusammen mit sechs namhaften Sopranistinnen alle Höhen und Tiefen der Beziehung zwischen Mann und Frau. In seiner Herbsttournee „Viva Puccini!“ mit 10 Stationen im deutschsprachigen Raum und in Paris darf man sich auch live vom Gefühlsrausch umfangen lassen.

Startenor Jonas Kaufmann. Foto © Gregor Hohenberg / Sony Music

Am heutigen Abend gastiert der weltberühmte Tenor zusammen mit der italienischen Sopranistin Valeria Sepe im Bremer Konzerthaus „Die Glocke“, es ist die 9. Station auf der Puccini-Tournee, die ein wahrer Triumph ist, in allen Städten sind die Säle ausverkauft, so auch hier.

Jonas Kaufmann beginnt den Abend mit Auszügen aus „Tosca“. Die Rolle des idealistischen Malers Mario Cavaradossi, der mit seiner Geliebten Tosca, einer eifersüchtigen Gesangsdiva, in die Fänge des sadistischen Polzeichefs Scarpia gerät, gehört zu den absoluten Lieblingsrollen des Tenorissimo, die er in seiner langen Karriere mit Abstand am häufigsten verkörpert hat. In der Auftrittsarie „Recondita armonia“ lässt Kaufmann seine goldene Stimme warm strömen und zeigt, dass er die italienische Legato-Kultur bestens beherrscht. Wie ein Maler mit seiner Palette bringt er verschiedene Stimmfarben zum Einsatz. Auch die Höhen sind kraftvoll, wobei Kaufmann diese sogar sanft an- und abschwellen lassen kann – ein stimmtechnisches Meisterstück, das nicht viele Tenöre beherrschen.

Jonas Kaufmann und Valeria Sepe interpretieren ein Duett aus „Tosca“. Foto von Patric Leo.

Im nachfolgenden Liebesduett zwischen Mario und Tosca bietet Puccini eine große emotionale Bandbreite aus Koketterie, Verführung und Eifersucht, die der Spielfreude der Interpreten viel Raum lässt. Zwischen Tenor und Sopran spürt man in der Interaktion große kollegiale Vertrautheit, die im Laufe der Tournee gewachsen ist. Durch ihr intensives Zusammenspiel mit ausdrucksstarker Mimik und Gestik wird die Szene lebendig und man kann ganz eintauchen in die Situation. Valeria Sepe gibt eine temperamentvolle Tosca, eine Diva, die ihren Mario spielend um den kleinen Finger wickelt.

Die Sopranistin hat eine kraftvolle Stimme, die mir stellenweise ein bisschen scharf ins Ohr dringt. Vergleichsweise klingt Maria Agresta (die ich auf dieser Tournee in Frankfurt gehört habe, sie hat Kaufmann bei 4 Terminen begleitet) weicher und lieblicher. Sepe versteht es bestens, ihre weiblichen Reize in ihrer Rollendarstellung auszuspielen. In ihrem lachsfarbenen Kleid sieht die junge Italienerin bildschön aus. Auch der 55-jährige Kaufmann gibt in festlichem Frack und mit seinen graumelierten Locken ebenfalls eine attraktive Erscheinung ab.

Die berühmte Arie „Vissi d’arte“ interpretiert Valeria Sepe mit einem feurigen Aufbegehren gegen die Ungerechtigkeit Gottes und ihres Schicksals. Mir persönlich fehlt in diesem Gebet ein bisschen die Innerlichkeit.

Foto von Patric Leo

Im Vorspiel vom 3. Akt von Tosca erweist sich die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter der Leitung von Jochen Rieder als niveauvoller Klangkörper. Dirigent Rieder begleitet Kaufmann seit vielen Jahren auf seinen Tourneen und die beiden sind ein eingespieltes Team. Im Instrumentalen zeigt sich die besondere atmosphärische Kraft von Puccinis Komposition: Durch das Glockengeläut fühlt man sich auf das Dach der Engelsburg in Rom versetzt, sieht die Sonne aufgehen und die melancholischen Klänge von Cello und Klarinette künden vom nahenden Tod für Mario und Tosca.

Ein erstes inniges Highlight gelingt dem Tenor in seiner intensiven Interpretation der Arie, „E lucevan le stelle“, in der Cavaradossi in sehnsuchtsvoller Erinnerung schwelgend Abschied vom Leben nehmen muss. Das Publikum belohnt Kaufmann mit einem begeisterten Applaus.

Foto von Patric Leo

Als nächstes taucht man ein in die Welt des Poeten Rodolfo und der Näherin Mimì aus „La Bohème“, bei deren Kennenlernen aus einem Kerzenlicht bald ein Feuer der Leidenschaft entbrennt. Hier trumpft Kaufmann im Schlusston des Liebesduetts „O soave fanciulla“ mit einem Spitzenton am Ende aus dem Off auf, bei dem man staunt, dass der Tenor sich trotz des fordernden Programms nicht zu schonen scheint.

Nach der Pause blühen und glühen beide Sänger voll auf im leidenschaftlichen Duett der Hochzeitsnacht aus „Madama Butterfly“. Die Sopranistin trägt nun ein schwarzes Kleid und hat sich die breiten Bänder ihrer rückseitigen Schleife über die Arme und Hände gehängt, die sie wie eine Geisha in einem traditionellen Kimono hält. Sie schlüpft auch gesanglich ganz in die Haut der unschuldigen Cio-Cio-San, die mit zarten Tönen in ihrem frisch vermählten Ehemann Pinkerton heißes Begehren auflodern lässt. Wenn sie die Stoffbänder schüchtern von ihren Armen streift und damit ein Entkleiden der Braut andeutet, reagiert ihr Tenor-Partner mimisch und vokal mit drängender Leidenschaft („vieni…vieni“). Das Duett schaukelt sich ekstatisch hoch bis zum Höhepunkt, in dem Puccini die Liebe als geradezu orgastisches Feuerwerk in Musik verwandelt hat. Die wunderbaren Stimmen von Kaufmann und Sepe erstrahlen mit voller Leuchtkraft und auch das Bremer Publikum ist von der Hitze der Gefühle entflammt und applaudiert begeistert.

Einen weiteren furiosen Höhepunkt bieten Tenor und Sopran im Duett „Tu, tu, amore? Tu?“ aus „Manon Lescaut“, in dem die Stimmung aufgeladen ist von Begehren und zorniger Eifersucht. Dieses Duett ist eine gesangliche Tour-de-Force, bei der Kaufmanns Stimme ein klein wenig ermüdet klingt, wenn er hier ständig „Vollgas“ geben muss.

In der ersten Zugabe lässt der Tenor in „Ch’ella mi creda“ (aus „La fanciulla del West“) seine Stimme wieder im weichen Nougatschmelz erklingen, der zu einem sanften Verführer passt, und schafft am Ende helle Glanzpunkte, bei denen er wieder ganz frisch klingt.

Herzerweichend und lyrisch zart singt Valeria Sepe das liebevolle Flehen von Liù „Signore, ascolta“ (aus „Turandot“), was von Kaufmann als Calaf eine ebenso zartfühlende Antwort im tröstlichen „Non piangere, Liù“ erfährt. Sodann begeistert Sepe mit einer schönen Interpretation von „O mio babbino caro“ (aus „Gianni Schicchi“).

Nach anhaltendem Jubel mit Standing Ovations, Bravo-Rufen und Fußgetrappel beschenkt der Tenor das Publikum mit der Parade-Arie „Nessun dorma“ (aus „Turandot“), ohne die eine Puccini-Gala nicht komplett wäre. Auch wenn der finale hohe Ton („Vincerò!“) zu Beginn nicht ganz anspringt und Kaufmann ein bisschen nachdrücken muss, um den Ton in kraftvolle Höhen zu bringen, verfehlt er nicht seine Wirkung – frenetischer Jubel brandet auf!

Foto von Patric Leo

Das Bremer Publikum ist derartig begeistert, dass sich Kaufmann sogar zu einer 6. Zugabe überreden lässt (was auf dieser Tournee nur ganz selten vorkam). Wenn er gelöst in den Zuschauerraum strahlt und mit einem spielerischen Gestus die weiße Fliege seines Fracks aufbindet, dann springt dieser besondere Kaufmann-Charme über, der seit Jahren die Herzen seiner weiblichen Fans höherschlagen lässt. „Non di scordar di me“ (von De Curtis) ist der zartschmelzende musikalische Abschiedsgruß des Tenorissimo, der alle Wünsche erfüllt, die man an einen Künstler haben kann.

Ja, es war wirklich ein Abend, den man nicht vergisst – ein Feuerwerk aus Gefühlen, wie es nur Puccini zu entzünden vermag, transportiert von zwei traumhaften Stimmen auf höchstem Niveau.

Konzerthaus „Die Glocke“ im Herzen von Bremen. Foto privat.

Die nächsten Auftritte von Jonas Kaufmann finden Sie im Kalender seiner Homepage.

Jonas Kaufmann. Foto © Gregor Hohenberg / Sony Music

Titelbild: © Patric Leo

Jonas Kaufmann und Maria Agresta lassen die Leidenschaft hell aufglühen in der Puccini-Gala in der Alten Oper Frankfurt

Alte Oper Frankfurt, 22. Oktober 2024: Jonas Kaufmann – Viva Puccini!

Das Klassik-Jahr 2024 steht ganz im Zeichen von Giacomo Puccini, der mit seinen leidenschaftlichen Kompositionen wie kein anderer im ausgehenden 19. Jahrhundert die neue Ära des italienischen „Verismo“ geprägt hat. In Puccinis Opern stehen nicht mehr Adelige im Zentrum der Geschichte, sondern die Menschen von nebenan: Studenten, Künstler, Grisetten. In ihren Sehnsüchten und Gefühlsstürmen aus Liebe und Eifersucht offenbart sich das „wahre Leben“, ungeschminkt und mit großer Intensität. Die betörende Sogwirkung von Puccinis Musik fasziniert auch 100 Jahre nach seinem Tod und seine drei berühmtesten Opern „La Bohème“ (1896), „Tosca“ (1900) und „Madama Butterfly“ (1904) gehören fest ins Repertoire eines jeden Opernhauses.

Jonas Kaufmann © Gregor Hohenberg / Sony Music

Kein Wunder also, dass Startenor Jonas Kaufmann zum Jubiläum eine musikalische Hommage an den genialen Komponisten in Form eines Duett-Albums herausgebracht hat. In „Puccini: Love Affairs“ besingt der Tenor zusammen mit sechs namhaften Sopranistinnen alle Höhen und Tiefen der Beziehung zwischen Mann und Frau. In seiner Herbsttournee mit 10 Stationen im deutschsprachigen Raum und in Paris darf man sich also live vom Gefühlsrausch emportragen lassen. Kaufmann wird hierbei abwechselnd von den italienischen Sopranistinnen Maria Agresta (die auf seiner CD als Madama Butterfly zu hören ist) und Valeria Sepe begleitet. Nachdem der Tenor das erste Konzert in Paris wegen seiner erneuten Corona-Infektion verschieben musste, ist der Startschuss am 13. Oktober in Wien fulminant geglückt und die Alte Oper Frankfurt ist nun die 4. Station auf der ambitionierten Tournee.

Die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter der Leitung von Jochen Rieder in der Alten Oper Frankfurt © Andreas Etter / Pro Arte Frankfurt

Wie in allen Städten zuvor ist auch in Frankfurt der Konzertsaal ausverkauft und das Publikum erwartet voller Spannung, ob der preisgekrönte Sänger, Medienliebling und Frauenschwarm seinem Ruf als „begehrtester Tenor der Welt“ gerecht werden kann.

Jonas Kaufmann beginnt den Abend mit Auszügen aus „Tosca“. Die Rolle des idealistischen Malers Mario Cavaradossi, der mit seiner Geliebten Tosca, einer eifersüchtigen Gesangsdiva, in die Fänge des sadistischen Polzeichefs Scarpia gerät, gehört zu den absoluten Lieblingsrollen des Tenorissimo, die er in seiner langen Karriere mit Abstand am häufigsten verkörpert hat. Die Partie liegt ihm bestens in der Kehle und in seiner Auftrittsarie „Recondita armonia“ kann er seine Stimme in der goldenen Mittellage warm strömen und auch die Höhen kraftvoll anschwellen lassen.

Im nachfolgenden Liebesduett zwischen Mario und Tosca bietet Puccini eine große emotionale Palette aus Koketterie, Verführung und Eifersucht, die der Spielfreude der Interpreten viel Raum lässt. Kaufmann gibt den Maler vielleicht ein bisschen zu routiniert, wohingegen seine Partnerin Maria Agresta die Diva mit viel stimmlicher Präsenz darbietet und zudem in ihrem marineblauen Kleid auch optisch ein Hingucker ist. Kaufmann in festlichem Frack und mit seinen graumelierten Locken gibt ebenfalls eine attraktive Erscheinung ab.

Jonas Kaufmann und Maria Agresta © Andreas Etter / Pro Arte Frankfurt

Zwischen Tenor und Sopran spürt man in der Interaktion kollegiale Vertrautheit – die beiden haben bereits im Jahr 2017 bei Kaufmanns grandiosem Debüt als Otello am Royal Opera House in London gemeinsam auf der Bühne gestanden, Agresta war seinerzeit seine Desdemona.

Ein erstes Highlight gelingt Kaufmann in seiner intensiven Interpretation der Arie, „E lucevan le stelle“, in der Cavaradossi in sehnsuchtsvoller Erinnerung schwelgend Abschied vom Leben nehmen muss. Hier bringt er seine italienische Legatokultur beim Singen bestens zum Einsatz und besonders die leisen Töne berühren mit ihrer Innerlichkeit. Im Vorspiel sorgt die Solo-Klarinette für Melancholie und die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter der Leitung von Jochen Rieder erweist sich als niveauvoller Klangkörper. Rieder begleitet Kaufmann seit vielen Jahren auf seinen Tourneen und die beiden sind ein eingespieltes Team.

Als nächstes taucht man ein in die Welt des Poeten Rodolfo und der Näherin Mimì aus „La Bohème“, bei deren Kennenlernen aus einem Kerzenlicht bald ein Feuer der Leidenschaft entbrennt. Hier trumpft Kaufmann im Schlusston des Liebesduetts „O soave fanciulla“ mit einem Spitzenton am Ende aus dem Off auf, bei dem man staunt, dass der Tenor sich trotz des fordernden Programms nicht zu schonen scheint. Das Publikum applaudiert freundlich, aber so richtig scheint der Funke noch nicht übergesprungen zu sein.

Maria Agresta © Andreas Etter / Pro Arte Frankfurt

Nach der Pause blüht Maria Agresta im leidenschaftlichen Duett der Hochzeitsnacht aus Madama Butterfly“ zwischen der unschuldigen Geisha Cio-Cio-San und dem rücksichtslosen Seemann Pinkerton förmlich auf. Hier überflügelt die Sopranistin mit ihrer vor Gefühl flirrenden Interpretation sogar ihren Partner. Kaufmann gelingt es jedoch, diese Figur, die er auf der Bühne nie dargestellt hat, weil sie ihm zu unsympathisch ist (wie der Tenor in Interviews bekennt), mit drängender Leidenschaft („vieni…vieni“) auszustatten, die schon die Zerstörung der zarten Flügel des Schmetterlings erahnen lässt. Jetzt wird auch das Publikum von der Hitze der Gefühle entflammt und zeigt sich begeistert.

Einen furiosen Höhepunkt bieten Kaufmann und Agresta im Duett „Tu, tu, amore? Tu?“ aus Manon Lescaut“, in dem die Stimmung aufgeladen ist von Begehren und zorniger Eifersucht, die Kaufmann kernig und leidenschaftlich darbietet, und von der Sopranistin mit selbstbewusster Weiblichkeit befeuert wird.

Begeisterung im Saal und auf der Bühne © Andreas Etter / Pro Arte Frankfurt

In der ersten Zugabe lässt der Tenor in „Ch’ella mi creda“ (aus La fanciulla del West) seine Stimme wieder im weichen Nougatschmelz erklingen, der zu einem sanften Verführer passt.

© Andreas Etter / Pro Arte Frankfurt

Herzerweichend und lyrisch zart singt Maria Agresta das liebevolle Flehen von Liù „Signore, ascolta“ (aus „Turandot“), was von Kaufmann als Calaf eine ebenso zartfühlende Antwort im tröstlichen „Non piangere, Liù“ erfährt.

© Andreas Etter / Pro Arte Frankfurt
© Andreas Etter / Pro Arte Frankfurt

Den Abend beschließt der Tenor mit der obligatorischen Parade-Arie „Nessun dorma“ (aus „Turandot“), die nun auch den letzten im Publikum vom Sitz reißt und mit einer Standing Ovation belohnt wird, auch wenn der finale hohe Ton („Vincerò!“) von der gesanglichen Tour de Force des Abends geschwächt klingt und wohl auch wegen des gerade überstandenen Infekts (zwischendurch musste der Tenor einige Male husten) nicht so kraftvoll und schillernd gelingt, wie man es eigentlich von Jonas Kaufmann gewohnt ist. Aber live ist live und am Ende strahlt der Tenor erleichtert und offensichtlich froh, dass die Musik von Puccini zielsicher ins Herz der Menschen getroffen und die Zuhörenden bewegt hat.

Jonas Kaufmann, Maria Agresta und Jochen Rieder freuen sich über Standing Ovations des Frankfurter Publikums. © Andreas Etter / Pro Arte Frankfurt

Ein Konzert mit einem Feuerwerk aus Gefühlen, wie es nur Puccini zu entzünden vermag, transportiert von zwei wunderbaren Stimmen auf höchstem Niveau.

Die nächsten 6 Stationen der Puccini-Tournee von Jonas Kaufmann finden Sie im Kalender seiner Homepage.

Mit Jonas Kaufmann weht ein Hauch von Hollywood durch den Kurpark Wiesbaden – ein kontrastreiches Konzert mit Melodien aus berühmten Filmen

Wiesbaden, 18. Juli 2024

Am Donnerstagabend beginnt die Open-Air-Konzertreihe des Rheingau Musik Festivals im Wiesbadener Kurpark direkt mit einem Höhepunkt: Startenor Jonas Kaufmann bietet passend zum diesjährigen Themenschwerpunkt Hollywood eine musikalische Reise durch einige der schönsten Melodien aus 100 Jahren Filmgeschichte – von leiser Melancholie eines Ennio Morricone bis zu Blockbuster-Dramatik aus „Gladiator“.

Jonas Kaufmann, Salzburg, Sony Classical

Auf seinem neusten Album „The Sound of Movies“ hat der vielseitige Tenor sein Repertoire um eine weitere Facette erweitert und präsentiert diese beliebten Film-Ohrwürmer nun live vor Publikum.

Jonas Kaufmann bekennt sich als echter Kinofan, der in den vielen Jahren seiner Karriere oft in den Metropolen dieser Welt – sei es in London, Paris oder New York – fern von der Familie allein in seinem Hotelzimmer saß und sich zwischen den Auftritten die Zeit vertreiben musste – dann habe es ihn stets in die Lichtspielhäuser gezogen.

Man braucht viele Stimmen für dieses Repertoire“, sagt Jonas Kaufmann heute zu seinem sängerischen Ausflug in die Filmmusik.

Dass der Startenor ein wahres Stimm-Chamäleon ist, stellt er an diesem Abend eindrucksvoll unter Beweis.

Foto: Ansgar Klostermann / Rheingau Musik Festival

Bei abendlichem Sonnenschein sind die Reihen vor der Konzertmuschel im Kurpark voll besetzt und die Vorfreude ist groß. Einen mitreißenden Einstieg liefert die Deutsche Radio Philharmonie unter der Leitung von Jochen Rieder mit der geradezu ikonischen Fanfare der 20th Century Fox, bei der sich vor dem geistigen Augen der Vorhang vor der großen Kinoleinwand öffnet. Schwungvoll weiter geht es instrumental mit dem Marsch aus „Superman“.

Dann betritt Jonas Kaufmann die Bühne. Der 55-Jährige bringt in seinem dunkelblauen Dreiteiler mit Fliege die Eleganz eines Cary Grant mit. Der Tenor singt den Blues-Titel „What a Wonderful World“ (aus „Good Morning Vietnam“) schwelgerisch mit einem Hauch von Melancholie, wobei er seine Stimme sanft und schmeichlerisch einsetzt – ganz Stilecht in der Tradition des „Crooning“ eines Bing Crosby oder Frank Sinatra.

Foto: Ansgar Klostermann / Rheingau Musik Festival

Doch anders als so manche Filmidole des Goldenen Hollywoods aus der Mitte des 20. Jahrhunderts hat der sympathische Tenor keinerlei Star-Allüren, sondern begrüßt sein Publikum charmant und freut sich über das schöne Sommerwetter und dass er – anders als im nächsten Song – nicht im Regen singen muss. Mit spielerischer Leichtigkeit swingt er sodann das bekannte „Singing in the Rain“ (aus dem gleichnamigen Musical mit Gene Kelly) und hat am Ende ein gutgelauntes Pfeifen auf den Lippen.

Ganz innig wird es dann mit „Moon River“ aus „Breakfast at Tiffany“. Nur in Begleitung einer Gitarre setzt Kaufmann seine Stimme ein wenig rauchig ein und gibt der Melancholie viel Raum, wobei er an die Zerbrechlichkeit der Original-Interpretation von Audrey Hepburn nicht ganz herankommt.

Foto: Ansgar Klostermann / Rheingau Musik Festival

Im nächsten Instrumentalstück aus „La Strada“ von Nino Rota dreht das Orchester auf und präsentiert einen jazzigen Big Band Sound.

Das erste emotionale Highlight des Abends bietet Kaufmann mit seiner leidenschaftlichen Interpretation von „Maria“ aus „West Side Story“ (von Leonard Bernstein). Hier ist der Sänger ganz in seinem Element, kann seine Tenorstimme voll zum Klingen bringen und zeigt seine Stärke als Interpret: Wie viel Sehnsucht und Farbvielfalt Kaufmann in den sich vielfach wiederholenden Namen der Angebeteten legen kann, lässt einen staunend seufzen. Als das letzte Wort „Maria“ verklungen ist, brandet begeisterter Applaus auf.

Foto: Ansgar Klostermann / Rheingau Musik Festival

Romantisch und mit viel Schmelz gesungen ist „She Was Beautiful“ (aus „The Deer Hunter“), wobei auch hier die Gitarrenbegleitung die Stimmung bestens untermalt.

Instrumental geht es romantisch weiter mit „Scene d’amour“ aus „Vertigo“, wobei sich hier auch die quakenden Enten und die zwitschernden Vögel aus den umstehenden Bäumen in den Orchesterklang miteinbringen – was den besonderen Charme eines Konzerts unter freiem Himmel ausmacht.

Jochen Rieder erweist sich als zuverlässiger Dirigent, unter dessen Stab die Deutsche Radio Philharmonie ihre Vielseitigkeit bestens zeigen kann.

Foto: Ansgar Klostermann / Rheingau Musik Festival

Nun verlassen wir Hollywood und tauchen in das europäische Kino ein. In „Se“ aus „Cinema Paradiso“ beweist der Tenor seine große Musikalität und Stimmbeherrschung in vielen Registerwechseln und atonalen Tönen. Doch Jonas Kaufmann meistert diesen Sprung in ein anderes musikalisches Genre spielend und scheint sich besonders im italienischen Flair und in dieser Sprache besonders wohl zu fühlen.

Im nächsten Stück ist wieder ein komplett anderer Sound zu hören: Im Walzer „The Loveliest Night of the Year“ aus „The Great Caruso“ ist ein Gesangsstil aus der Operette gefragt, den Kaufmann auch mühelos beherrscht und seine Tenorstimme mit mehr Klangfülle einsetzt – neben der Seide blitzt nun auch der Stimmstahl auf.

Nach der Pause lässt das Orchester die opulente Erkennungsmelodie aus „Gone with the Windaufwogen und man spürt die große Dramatik dieses Klassikers aus dem Jahr 1939. Das Stück stammt aus der Feder des Wiener Komponisten Max Steiner, der als „Vater der Filmmusik“ gilt (u.a. King Kong 1933, Casablanca 1940) und den symphonischen Klang der Spätromantik aus Europa nach Amerika brachte.

Um den Verlust der großen Liebe geht aus auch im nächsten Stück aus „Love Story“. „Where do I begin“ interpretiert Kaufmann fast wie eine Opernarie.

Einen absoluten Kontrast bieten die lateinamerikanischen Klänge – stimmungsvoll begleitet von einem Akkordeon – des berühmten Tangos „Por una Cabeza“ aus „Scent of a Woman“ (und in einigen weiteren Filmen erklungen wie „Schindlers Liste“ und „True Lies“ ). Auch hier gelingt es Kaufmann mühelos, in die Haut eines hitzköpfigen Lebemannes zu schlüpfen, der im Spiel sein Glück sucht und gerne den Verführungen der Frauen erliegt. Auch die spanische Sprache rollt dem Sänger leicht über die Zunge.

Einen emotionalen Salto-Rückwärts gibt es dann im nächsten Lied, das von Schwermut getragen wird. In „E più ti penso“ aus „Once Upon a Time in America“ vom Meister der italienischen Filmmusik, Ennio Morricone, gelingt es Kaufmann, eine tief traurige Stimmung zu erzeugen, die sich auch in seiner Mimik zeigt. Der Tenor schafft eine dichte Dramatik, die an seine intensiven Darbietungen des Otello auf der Opernbühne erinnert. Wenn er einen Ton kraftvoll herausschmettert und dann leise abschwellen lässt, dann ist es keine bloße Demonstration seiner einzigartigen Stimmfähigkeiten, sondern steht ganz im Dienst seiner gefühlsintensiven Interpretation.

Mit „Nella fantasia“ aus „The Mission“ bleibt es italienisch und mit „Nelle tue mani“ aus „Gladiator“ (von Hans Zimmer) bieten Tenor und Orchester einen mitreißenden Höhepunkt, der die Zuschauenden von ihren Sitzen reißt. Man hat den Eindruck, dass Kaufmann in diesen italienischen Stücken sowohl in der Sprache als auch im opernhaften Stil ganz zuhause ist, während er im amerikanischen Swing und Musical eher als kundiger Tourist unterwegs ist.

Foto: Ansgar Klostermann / Rheingau Musik Festival

Der offizielle Teil des Programms ist beendet und das Publikum zeigt in Standing Ovations seine Begeisterung. Der Tenor ist sichtlich gelöst und gibt gutgelaunt und großzügig sechs Zugaben.

Bei „Ich küsse Ihr Hand, Madame“ zeigt Kaufmann seinen Charme und seine Spielfreude. Man spürt, wie heimisch der Wahl-Salzburger auch in der Wiener Operette ist, musikalisch und von der Mentalität her.

Nach „Strangers In the night“ singt er „Edelweiss“ (aus „The Sound of Music) nur von der Gitarre begleitet, erstaunlich kitschfrei, eher wie ein liebevolles Schlaflied für seinen 5-jährigen jüngsten Sohn Valentin, der vielleicht mit seiner Mutter und den Großeltern aus Wiesbaden auch im Publikum sitzt.

Ein ergreifendes Highlight ist „A rose has bloomed“ (aus „Romeo und Juliet“ von Franco Zeffirelli), samtig weich gesungen, in dem der Rausch der ersten Liebe bereits mit der Melancholie des nahenden Verblühens und dem unvermeidlichen Tod des Paares anreichert ist.

In „Dreams are my reality“ (aus „La Boum“) darf man in Teeny-Party-Stimmung schwelgen.

Auf einer hoffnungsvollen und erhebenden Note endet das Konzert mit „You’ll never walk alone“ (aus „Carousel“).

Jonas Kaufmann hat in diesem wundervollen Konzert eine beeindruckende stimmliche und stilistische Bandbreite gezeigt und bewiesen, warum er als der beste Tenor der Welt gehandelt wird – auf jeden Fall ist er der Vielseitigste.

Wer mehr Musik aus Hollywood genießen möchte, der wird im Programm des Rheingau Musik Festivals der nächsten Tage noch fündig.

Ulrike Arabella Meran (Foto: privat)

Jonas Kaufmann kehrt im Herbst 2024 mit seinem „Viva Puccini!“-Programm in die Region zurück und ist u.a. im Mannheimer Rosengarten (am 17.10.2024) und in der Alten Oper Frankfurt (am 22.10.2024) zu erleben.

Über die Autorin:

Ulrike Arabella Meran lebt in Berlin, wo sie ihrer Berufung als Autorin und Schreiblehrerin folgt. Im Jahr 2020 hat sie ihren Masterabschluss im Studiengang »Biografisches und Kreatives Schreiben« an der Alice Salomon Hochschule Berlin erworben. Die gebürtige Kölnerin hat sich bereits in jungen Jahren für Literatur begeistert, ebenso wie für die klassische Musik. Sie hat einige Jahre als Posaunistin im Schulorchester und in einer Big Band gespielt. Seit rund 25 Jahren geht sie leidenschaftlich gerne in die Oper. So ist es kein Wunder, dass sie in ihrem neusten historischen Roman „Im Takt ihrer Träume (im Oktober 2023 im Verlag Tinte & Feder erschienen) eine junge Dirigentin an der Wiener Oper in den 1920er Jahren zur Hauptfigur gemacht hat, die sich dort als einzige Frau in der Männerwelt behaupten muss.

Filmmusik kommt in dieser Geschichte übrigens auch vor, wenn Dirigentin Johanna mit ihren Freundinnen ins Stummfilmkino geht – wie damals üblich mit live Orchester-Begleitung.

Ulrike Arabella Meran (Foto: privat)

Titelbild: Ansgar Klostermann / Rheingau Musik Festival

Jonas Kaufmann begeistert mit großen Gefühlen und italienischer Gesangskultur in der Alten Oper Frankfurt

Startenor Jonas Kaufmann präsentierte am Sonntag bestens disponierte ein vielseitiges und mitreißendes Arien-Programm aus Opern von Giuseppe Verdi und aus dem italienischen Verismo

Schon mit seiner Auftrittsarie „Celeste Aida“ aus Verdis Nil-Oper „Aida“ zeigt Kaufmann (53) seine langjährige Erfahrung im italienischen Fach und zaubert mit warmen Stimmfarben und langen Legatobögen ein verführerisches Klangerlebnis und beweist mit seinem leise an- und abschwellenden letzten Ton, wie perfekt er sein Instrument beherrscht. Aber der Tenor stellt seine Stimme immer in den Dienst der Musik und vor allem der Emotion, die er mit seinem Gesang seelenvoll zu transportieren versteht.

Tenor Jonas Kaufmann – Foto: Ansgar Klostermann/Pro Arte © Ansgar Klostermann

Anrührend und mit zarten Tönen bis hin zu dramatischen Ausbrüchen gestaltet er die Arie des Rodolfo aus „Luisa Miller“ und die des Riccardo aus „Un ballo in maschera“ – Figuren, die er bisher noch nie auf der Bühne verkörpert hat. Doch in seiner Interpretation werden die darzustellenden Männer mit ihren Liebesnöten sofort lebendig.

 

Zwischen den Arien des Tenors sorgen die aus den jeweiligen Opern stammenden Preludios für eine musikalische Einstimmung. Die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter der Leitung von Jochen Rieder spielt wohlklingend auf. Mit dem Dirigenten verbindet Kaufmann eine langjährige Zusammenarbeit, er ist sein Stammdirigent auf allen Tourneen. In den Arien merkt man, dass die beiden Musiker bestens harmonieren und Rieder den Orchesterklang einfühlsam den Bedürfnissen des Tenors anpasst.

Foto: Ansgar Klostermann/Pro Arte © Ansgar Klostermann

Einen grandiosen Höhepunkt vor der Pause liefert der Monolog des Otello aus der gleichnamigen Verdi-Oper. Wenn Kaufmann „Dio! mi potevi scagliar tutti i mali“ flüstert, so lastet hier die tiefe Verzweiflung des Otello auf jeder Silbe, jedem gehauchten Vokal, und man vergisst, dass ein Tenor im Frack auf der Bühne steht und wird hineingetragen in eine zutiefst ergreifende Seelenschau.

 

Beim Otello kann Kaufmann bereits auf drei Bühnenproduktionen zurückblicken (sein umjubeltes Rollendebüt gab er im Sommer 2017 am Royal Opera House in London), in denen er in die Haut dieses von Eifersucht Getriebenen geschlüpft ist und diesen eindringlich verkörpert hat – der gebürtige Münchner ist auch darstellerisch ein Ausnahmetalent. All diese Emotionen kann der Tenor innerhalb weniger Sekunden aus dem luftleeren Raum in sich heraufbeschwören und in der Alten Oper auf die Konzertbühne bringen. Das Publikum im fast ausverkauften Haus ist vollkommen mitgerissen und applaudiert enthusiastisch.

Jonas Kaufmann und Jochen Rieder – Foto: Ansgar Klostermann/Pro Arte © Ansgar Klostermann

Nach der Pause präsentiert der Sänger Glanzstücke aus dem Verismo. Ähnlich intensiv wie der Otello gelingt ihm das „Vesti la giubba“ des gebrochenen Clowns Canio aus „I Pagliacci“.

 

Eine erstaunliche Wandlung der Stimmung und auch der Stimmfarbe vollführt Kaufmann im darauffolgenden Stück, dem „Lamento des Federico“ aus der Oper „L‘ Arlesiana“ von Francesco Cilea. Dieser Federico ist das italienische Pendant zum französischen Werther (nach Goethes literarischer Vorlage), beide sind junge Männer, die sich aus Kummer über die unerfüllte Liebe zu einer Frau das Leben nehmen. Hier gelingt es Kaufmann, die Reife vieler Jahre von seiner Stimme abzuwerfen und klingt mit lyrischen Tönen tatsächlich wie ein Jüngling. Mit fast liedhafter Stimmführung zeichnet er die Pein des Verliebten nach, die erst zum Ende hin seinen stimmgewaltigen Ausbruch findet. Hier kann Kaufmann mit kraftvollen Spitzentönen aufwarten.

 

Vor dem letzten Stück auf dem Programmzettel, dem bekannten und schon oft von ihm dargebotenen „Mamma! Quel vino è generoso“ des Turridu aus „Cavalleria rusticana“ (von Pietro Mascani), gibt es einen auflockernden Moment, als Kaufmann mit gelöster weißer Fliege und offenem Hemdkragen die Bühne betritt, dann lachend seinen derangierten Aufzug bemerkt und sich schnell wieder adrett herrichtet – hier springt auch der menschliche Funke ins Publikum über und der Startenor wird nahbar, der zuvor ein wenig reserviert und eher in sich gekehrt gewirkt hatte.

Foto: Ansgar Klostermann/Pro Arte © Ansgar Klostermann

Das Publikum zeigt sich von der Arie begeistert und gibt stehende Ovationen, die der bescheiden lächelnde Kaufmann mit vier Zugaben belohnt, darunter zwei italienische Canzonen, ein sehr sanftes und inniges „Ombra di Nube“ (Licinio Refice) und „Amor ti vieta“ aus Fedora (Umberto Giordano).

 

So verlassen die Musikbegeisterten das Opernhaus bewegt und mit einem Lächeln auf den Lippen und werden draußen von einer mild-mediterranen Frankfurter Frühlingsnacht empfangen, in der die Italianità noch eine Weile in ihnen nachklingen kann.

 

Wer Jonas Kaufmann bei nächster Gelegenheit (wieder oder zum ersten Mal) live auf der Bühne erleben möchte, der kann sich im Terminkalender auf dessen Homepage über alle Auftrittsdaten und Orte informieren: Kalender

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