Wenn die Prinzessin zur Magd wird und die Dragqueen der großen Liebe entgegen stöckelt – beliebte Tropes in Literatur und Film

Gute Geschichten greifen oft auf wiederkehrende Umstände, Figurentypen oder Beziehungskonstellationen zurück, die den Lesenden oder Zuschauenden bekannt und bei ihnen beliebt sind. Diese Erzählmuster nennt man „Tropes“.

Hier möchte ich dir einige meiner liebsten Tropes aus Büchern und Filmen vorstellen, die ich auch schon selbst in meinen Romanen eingesetzt habe.

Princess goes slumming und der Prinz wird zum Schweinehirt

Einer meiner liebsten Tropes ist „Princess goes slumming“ und „Der Prinz wird zum Schweinehirt“. Hier befindet sich die Heldin/der Held in einer privilegierten Postion (früher adelig, heutzutage superreich), dabei jedoch gefangen im goldenen Käfig. Sie träumt davon, einmal das simple und unbeschwerte Leben kennenzulernen. So schlüpft sie in die Rolle eines „Normalos“ und mischt sich unter das „einfache Volk“.

Goldie Hawn im Film „Overboard“

Dabei verliebt sie sich verbotenerweise in jemanden unter ihrem Stand. Diese Geschichten lösen sich meist märchenhaft auf, denn wenn die wahre Identität und Stellung des Verkleideten enthüllt wird, ist dessen Reichtum kein Hindernis mehr für die Liebenden, sondern ein Bonus. Das Romantische daran: Die Liebe der niedriger gestellten Person ist blind entstanden, also ohne den Anreiz des Aufstiegs in den höheren Stand – diese Liebe erscheint somit besonders rein.

Filmklassiker „Roman Holiday – Ein Herz und eine Krone“

Einer meiner liebsten Filmklassiker ist „Roman Holiday – Ein Herz und eine Krone“ (1953) mit der bezaubernden Audrey Hepburn als Prinzessin, die ihren Pflichten entflieht und einen Tag in Rom als normales Mädchen zusammen mit einem Journalisten (Gregory Peck) verbringt, der eine Enthüllungsstory über sie schreiben will (sie ahnt nicht, dass er ihr Inkognito durchschaut hat). Befreit von allen Zwängen schleckt sie genüsslich Eis, lässt sich eine Kurzhaarfrisur schneiden und düst auf einer Vespa durch Rom. Es gibt einige innige Küsse und einen bitter-süßen Abschied, denn die Prinzessin und der Bürgerliche dürfen eben doch nicht heiraten.

Filmkomödie „Overboard – ein Goldfisch fällt ins Wasser“

Wunderbar witzig ist die Filmkomödie „Overboard – ein Goldfisch fällt ins Wasser“ (1987) mit Goldie Hawn als Millionärin auf einer Luxusyacht, die den Handwerker Kurt Russell herum kommandiert. Als sie über Bord geht und ihr Gedächtnis verliert, wittert er seine Chance auf Rache und behauptet, ihr Ehemann zu sein. Die verwöhnte Lady muss nun im Schlabberkittel seine freche Kinderschar versorgen und den Haushalt machen. Doch in der Armut lernt sie erstmalig die Liebe kennen. Die geläuterte „Prinzessin“ wird mit einem Happy End belohnt.

Mein Liebesroman „Das kleine Kräutercafé – Herzkirschen“

Auch in meinem LiebesromanDas kleine Kräutercafé – Herzkirschen (erscheint am 31. August 2023) spielen der Standesunterschied und eine Verwechslung eine Rolle, denn die Protagonistin Natália ist eigentlich nur Köchin und Putzfrau, doch der reiche Banker Robert hält sie irrtümlich für eine „ebenbürtige“ Kollegin.

Lange Tradition: Der Strandesunterschied trennt das Liebespaar

Das Hindernis des Standesunterschieds war in früheren Zeiten für Liebende noch höher, so dass dieser Trope sich bereits im 18. und 19. Jahrhundert bei den Schriftstellern großer Beliebtheit erfreute. So lässt Friedrich Schiller in seinem Drama „Kabale und Liebe“ (1784) den Adelssohn Ferdinand von Walter sich der bürgerlichen Louise Miller in der Verkleidung eines Bürgerlichen annähern. Erst, wenn Ferdinands Vater von der Mesalliance erfährt, stellt es sich gegen die Verbindung und eine Reihe von Intrigen führt schließlich zum tragischen Tod der Liebenden, die sich gegenseitig vergiften.

Auch in Giuseppe Verdis Oper „Rigoletto“ von 1851 (die auf Victor Hugos: „Le roi s’amuse“ basiert) stellt sich der Herzog von Mantua seiner verehrten Gilda (Tochter des Hofnarrs) als armer Student vor und gewinnt damit ihr Vertrauen. Auch in der Oper „Adriana Lecouvreur“ von Francesco Cilea, 1902) gibt sich Maurizio, Graf von Sachsen, als einfacher Offizier aus, wenn er mit der Schauspielerin Adriana anbandelt. In beiden Opern endet die Affäre mit dem Tod der getäuschten Frau.

Jonas Kaufmann und Angela Gheorghiu in „Adriana Lecouvreur“ am Royal Opera House 2010.

Weniger dramatisch, dafür umso witziger geht es im Hollywoodfilm Let’s make love (1960) zu, in dem sich ein Millionär (Yves Montand) unter eine Schauspielgruppe mischt und das gutherzigen und sexy Showgirl (Marilyn Monroe) verführt.

Frau in Männerkleidung und Mann in drag

Ein weiterer persönlicher Favorit unter den Tropes ist die Frau in Männerkleidung oder der Mann „dressed as girl“ (drag). Hieraus ergeben sich wunderbar romantische (die unmögliche Liebe) und auch komödiantische Situationen.

Toni Curtis und Jack Lemmon im Film „Some like it hot“

Bereits Shakespeare hat mit dieser Geschlechterverwirrung gespielt in „Twelfth Night“ („Was ihr wollt“) – Viola strandet in einem fremden Land, verkleidet sich als Diener und tritt in den Dienst des Herzogs von Orsino ein, in den sie sich verbotenerweise verliebt. Und auch im Film „Shakespeare in Love“ (1998) verwandelt sich die adelige Viola (Gwyneth Paltrow) in einen Schauspieler, um auf der Bühne stehen zu können – zwischen ihr und dem Poeten Shakespeare funkt es gewaltig.

Kein Wunder also, dass ich diesen Trope genussvoll in meinem bald erscheinenden Roman Im Takt ihrer Träume aufgegriffen habe: Hier schlüpft die Dirigentin Johanna in die Rolle eines Mannes, um ihren Traumberuf ausüben zu können. Aber dann kommt ihr die Liebe in Gestalt des leidenschaftlichen Kollegen Eduardo in die Quere.

Wo wir schon in der Opernwelt sind: Auch in „Arabella“ von Richard Strauss muss die jüngere Schwester Zdenka als Knabe herumlaufen, weil die verarmten Eltern nur die schöne Arabella standesgemäß in die feine Gesellschaft einführen können. Zdenka ist heimlich verliebt in Matteo, der eigentlich für Arabella schwärmt, aber mit ihrem „Bruder“ so manche Vertraulichkeit austauscht.

Wenn Männer in drag herumstöckeln, wird es immer turbulent, wie in der herrlichen Filmkomödie „Some like it hot“ (1959) mit Marilyn Monroe, Jack Lemmon und Toni Curtis. Sicher kennst du auch „Tootsie“ (1982) und „Mrs. Doubtfire“ (1993). In all diesen Geschichten bekommt der Mann als „beste Freundin“ seiner Angebeteten immer einen besonderen Zugang zu ihr und lernt sie durch die eigene Frauenrolle besser verstehen.

Magst du auch Geschichten, die mit dem Geschlechterrollentausch oder mit dem Standesunterschied (Prinzessin wird zur Magd) spielen? Welche Bücher und Filme mit diesen Tropes kennst du noch?

Übrigens gibt es noch einige weitere Tropes in (Liebes-) Geschichten:

  • Enemies / Rivals to lovers (z.B. „Stolz und Vorurteil“ von Jane Austen. Von beruflichen Rivalen zu Liebenden: „You’ve got mail“ mit Meg Ryan & Tom Hanks)
  • Fake dating (z.B. „Selbst ist die Braut“ mit Sandra Bullock & Ryan Reynolds, „Wedding Date“ mit Debra Messing & Dermot Mulroney, „Green Card“ mit Gérard Depardieu & Andie MacDowell)
  • Die Wette (Variante von fake dating) (z.B. „Wie werde ich ihn los in 10 Tage“, „10 Dinge, die ich an dir hasse“)
  • Vom Aschenputtel zur Prinzessin / hässliches Entlein zum schönen Schwan (z.B. in „Pretty Woman“, „My fair Lady“ und „Sabrina“ mit Audrey Hepburn, „Plötzlich Prinzessin“)
  • Mauerblümchen (Wallflower) (z.B. Fanny Price in „Mansfield Park“ von Jane Austen, Baby in „Dirty Dancing“, Will (Hugh Grant) in „Notting Hill“)
  • Strangers to lovers (z.B. „Titanic“, „Before Sunrise“)
  • Friends to lovers (z.B. „Emma“ von Jane Austen und „Harry und Sally“ mit Meg Ryan & Billy Crystal)
  • Love triangle (z.B. „Die Hochzeit meines besten Freundes“ mit Julia Roberts, Cameron Diaz & Dermot Mulroney, „Bridget Jones“, „Vicky Christina Barcelona“, „Ein unmoralisches Angebot“, „Tequila Sunrise“, „Vom Winde verweht“)
  • Second chance (z.B. erfolgreiche Großstädterin kehrt in ihr Heimatdorf zurück und trifft ihre Jugendliebe wieder wie in „Sweet Home Alabama“ mit Reese Witherspoon)
  • Forced proximity – erzwungene Nähe u.a. eingeschlossen sein oder aneinander gekettet, gemeinsamer Auftrag, Roadtrip (z.B. „Speed“, „The Mountain between us – Zwischen zwei Leben“, „Passengers“ – Mann und Frau alleine in einem Raumschiff, „Der Kautions-Cop“, „So spielt das Leben„, wo sich Mann und Frau, die sich nicht leiden können, gemeinsam um ein Baby kümmern müssen, „Der Duft der Frauen“ – ein Collegejunge soll auf einen blinden Mann aufpassen – mit Al Pacino & Chris O’Donnell)
  • Only one bed – zusammen in einem Bett (z.B. „Verlobung auf Umwegen„, „Selbst ist die Braut„, „In einem fernen Land“ mit Tom Cruise & Nicole Kidman)
  • Verbotene Liebe (z.B. Priester, Lehrer:in, Stiefvater wie in „Lolita“, oder Bruder /Schwester der/s eigenen Verlobten, z.B. „Die Familie Stone„)
  • Boss Romance / Office Romance spielt auch mit der verbotenen Liebe und einem Standesunterschied, denn eine Person des Paares ist der Chef/die Chefin (z.B. „Top Gun“ wo Tom Cruise eine Liaison mit seiner Ausbilderin Kelly McGillis eingeht, „Was Frauen wollen“ mit Mel Gibson & Helen Hunt, „Ein Chef zum Verlieben“ mit Sandra Bullock & Hugh Grant)
  • Heimliche Beziehung (z.B. „Romeo und Julia“, „Brokeback Mountain“, „Abbitte“)
  • Found family – die Wahlfamilie, d.h. eine Gruppe von Menschen findet sich zu einer neuen Familie zusammen, ohne biologisch miteinaner verwandt zu sein  (z.B. „Zusammen ist man weniger allein“ (Originaltitel: Ensemble, c’est tout), Film mit Audrey Tautou, basiert auf dem gleichnamigen Roman von Anna Gavalda (2004), „About a Boy oder: Der Tag der toten Ente“ mit Hugh Grant & Nicholas Hoult & Toni Collette, „Harry Potter“, „Die Tribute von Panem“)
  • Soulmates – Seelenverwandte (z.B.  „Der Pferdeflüsterer“, „Sleepless in Seattle“, „Ghost“, „Bridges of Madison County – Die Brücken am Fluss“)
  • Briefe von einem Fremden / aus der Vergangenheit / von einem Verstorbenen (z.B. „Message in a bottle – Der Beginn einer großen Liebe“ von Nicholas Sparks, „P.S. I love you„, „Briefe an Julia“)
  • Tödliche Krankheit verkürzt die Zeit, die die Liebenden miteinander haben. Manchmal verliebt sich dabei die Krankenschwester in ihren Patienten (z.B. „Entscheidung aus Liebe“ mit Julia Roberts, „Love Story“, „Sweet November“, „Ein ganzes halbes Jahr“ – Film nach dem Roman von Jojo Moyes)
  • Gedächtnisverlust (z.B. „Für immer Liebe„, „Overboard – Ein Goldfisch fällt ins Wasser“, „Vergiss mein nicht“, „Good Bye, Lenin“, „Hangover“; im Spannungs-Genre: „Bourne Identity“, „Ich. Darf. Nicht. Schlafen“, „Memento“, „Mulholland Drive“, „Spellbound – Ich kämpfe um dich“ mit Ingrid Bergmann & Gregory Peck)
  • Familienfeier / Thanksgiving / Essen mit Freunden läuft aus dem Ruder (z.B. „Die Familie Stone“, „Im August in Osage County“ und „Familiensache“ beide mit Meryl Streep, „Das perfekte Geheimnis“, „Der Vorname“)
  • Böse Schwiegereltern (z.B. „Meine Braut, ihr Vater und ich“ mit Robert de Niro, „Das Schwiegermonster“ mit Jane Fonda)

„Schreiben ist ein Kinderspiel“ – meine Anfänge als Schriftstellerin

„Schreiben ist ein Kinderspiel!“ Ja, für mich schon, denn mit dem Spielen als Kind habe ich begonnen, mir selbst und anderen Geschichten zu erzählen.

Meine Playmobilfiguren waren hierbei meine wichtigsten Instrumente. Meine Schwestern und ich hatten ein eigenes Zimmer, das nur unseren Playmos gewidmet war.

Jede hatte ein Grundstück mit Haupthaus (großes Puppenhaus), wo die „Hauptfamilie“ gewohnt hat. Dann gab es noch ein Dorf mit kleineren Häusern für die „Nebenfamilien“.

Das Schreiben kam erstmalig zum Einsatz, wenn ich Namenslisten für meine Großfamilie geschrieben habe. Jedes der 14 Kinder hatte natürlich ein eigenes Pferd, so dass auch alle Tiere auf meinem Hof einen Namen bekommen haben.

Das ist die Liste meiner Schwester Dorit. Meine war so ähnlich, ist aber leider verloren gegangen.

Wie ihr alle wisst, ist die Namensgebung für eine Romanfigur der erste Schritt, dieser ihren Charakter zu geben. Meine Figuren hatten auch ganz bestimmte Rollen im gesellschaftlichen Gefüge zu erfüllen. Total niedlich ist diese Job-Beschreibung für eine Zofe.

Im Urlaub musste ich mir dann Ersatzspielzeug suchen. Voller Hingabe habe ich stundenlang mit den Doppelkopfkarten „Verlobungsball“ gespielt. Die Damen waren die schönen Prinzessinnen (die Karodame die kupplerische Mutter) und die Könige und Buben haben sie umworben.

Hier eine nachgestellte Ball-Szene: Oben das Elternpaar, das über die Brautwerbung wacht. Die drei schönen Töchter sind umringt von Heiratskandidaten. Die Pik-Dame findet den schneidigen Karo-Buben viel attraktiver, als den selbstgefälligen Kreuz-König im Hermelin und mit roter Trinkernase.

Vorlage waren hierbei die Sisi-Filmen mit Romy Schneider, die ich unzählige Male mit meinen Schwestern angeschaut habe.

Drei Prinzessinnen im Schnee.

Inspiration für meine Spiele haben natürlich einige Filme, aber vor allem Bücher geliefert, denn ich war eine leidenschaftliche Leserin.

Im Skiurlaub mit meinen Schwestern – wir sind ganz versunken ins Lesen.

Sobald ich schreiben konnte, habe ich meine Fantasie auch auf dem Papier ausgelebt. Deutsch war immer mein Lieblingsfach und ich bin ganz darin aufgegangen, Aufsätze und zu schreiben und Literatur zu interpretieren.

Mein Aufsatz: „Ein Hund als Lebensretter“ aus der dritten Klasse.

Ein „Meilenstein“ in meiner jungen Schriftstellerin-Laufbahn (als 12-Jährige) war sicherlich die Bühnenadaption von Agatha Christies „Tod auf dem Nil“: Zusammen mit meiner Zwillingsschwester Dorit  habe ich zum 11. Geburtstag unserer jüngeren Schwester mit allen Geburtstagsgästen (Kindern) ein komplettes Theaterstück auf die Wohnzimmerbühne gebracht: Mit Bühnenbild und mondänen Kostümen. Hierzu haben wir den Kleiderschrank unserer Eltern geplündert.

Hier bei der Regiebesprechung.

Wir haben die Regie übernommen und auch selbst mitgespielt – und natürlich für jede Rolle den Bühnentext geschrieben. Es gibt ein Video von dieser legendären Inszenierung.

Szene: Jacqueline de Bellefort (links) trifft auf dem Schiff auf ihren früheren Verlobten Simon Doyle mit seiner Frau Linnet (ich in der Mitte mit Schirm) – ihre beste Freundin, die ihr den Mann ausgespannt hat. Eifersucht und Rachegelüste liegen in der Luft.
Ich als die verwöhnte Linette (man beachte die Ohrringe und den Goldarmreif), die sich alles nimmt, was sie begehrt. Dafür wird sie später das Mordopfer.
Dorit als gutgekleideter und dinstinguierter HERCULE POIROT.
Das Geburtstagskind Evelyn in ihrer zweiten schillernden Rolle: Salome Otterbourne. Hier liest die exzentrische Autorin (leicht angetrunken) Hercule Poirot aus ihrem erotischen Roman vor – der sich peinlich berührt davon schleichen will.

Für mich gibt es nichts Schöneres, als meine Geschichten mit anderen zu entwickeln und zu teilen und – wie in meiner Kindheit – auch gemeinsam durch das Theaterspielen zum Leben zu erwecken. Das erste kreative Netzwerk waren also meine Schwestern Dorit und Evelyn – meine liebsten und besten Spielgefährtinnen.

In meiner Jugend kamen noch meine kleinen Schwestern dazu, die bereitwillig alle Rollen in unserer Inszenierungen der Weihnachtsgeschichte oder von „Der kleine Prinz“ übernommen haben. Davon erzähle ich euch das nächste Mal mehr.

Kannst du dich noch an die Lieblingsspiele aus deiner Kindheit erinnern?

Wenn du auch schreibst: Welche Rolle nimmt das Spielen für dich auf dem Weg zur Schriftstellerin ein?

Woche 8: Die märchenhafte Grimm-Bibliothek – Von Kobolden und Yoga-Kühen

Warum hier:

Bücher, Bücher, Bücher – was könnte inspirierender sein? Ich mache mich auf eine Entdeckungsreise in das Grimm-Zentrum, die Bibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin. Schon oft bin ich an dem prägnanten Gebäude mit der S-Bahn vorbei gefahren, jetzt wird es Zeit, das Innere kennenzulernen.

Schon die Namensgeber führen mich in meine Kindheit zurück – in die Welt der Märchen und zum Ursprung des Geschichtenerzählens.

Jacob und Wilhelm Grimm haben nicht nur das deutschsprachige Volksmärchen aus der mündlichen Überlieferung in eine schriftliche Form gebracht, sie waren auch die Mitbegründer der Linguistik und Philologie in Deutschland und habe u.a. das Deutsche Wörterbuch erstellt – eine einmalige Sammlung des Wortschatzes mit Nachweisen zur Wortherkunft und -bedeutung.

Zur Einstimmung:

Es war einmal eine Prinzessin namens Rotbäckchen. Sie war wunderschön, aber auch hochmütig und selbstsüchtig. Als bösen Kobolde die Erde zum Stillstand brachten und es sieben Jahre lang keinen Wechsel mehr von Tag und Nacht und von Jahreszeiten gab, waren Erde und Menschen in großer Not. Da zog die Prinzessin aus, um die Welt zu retten…

Der Ort:

Im hellen Foyer des Grimm-Zentrums wuseln wissensdurstige Menschen geschäftig umher. Ich folge dem Strom hinunter zu den Schließfächern. Dort bringe ich meine Sachen unter und muss über den Automaten mit bunter Füllung schmunzeln, der statt Kaugummi Ohrstöpsel ausspuckt.

Auf 7 Etagen reihen sich Bücherregale in striktem Muster im langen Rechteck des Gebäudes aneinander.

Ich gehe auf die Suche nach dem Grimmschen Wörterbuch (den Standort habe ich in der Suchmaschine ermittelt). Auf dem Weg in die 5. Etage verirre ich mich ein wenig. Im siloartigen Betontreppenhaus ohne Fenster und mit einer Wandinschrift („Lost“) kommt bei mir gleich ein bisschen „Hänsel und Gretel“-Stimmung auf.

Hinter der schweren Metalltür des 5. Stockwerks liegt aber kein Lebkuchenhaus, sondern die Germanistikabteilung. Auch hier suche ich meinen Weg durch einen Wald von Regalen mit Ziffern und langen Nummern.

Schließlich werde ich fündig: Das „Deutsche Wörterbuch“ der Brüder Grimm hat 31 Bände und nimmt mehr als 1 Regallänge ein. Ich nehme mir den Band A und Z vor und schaue mir einige Worte vom Anfang („Aas“ – hier begegnet mir bei den Literaturbeispielen wieder Mephisto) und einige vom Ende an („Zizibe“ – juchu, ich habe ein neues Wort gelernt).

Aber wo finde ich einen Grimmschen Märchenband? Ich versuche mein Glück in der 7. Etage in der „Kinderstube“ (der Bereich ist reserviert für Schwangere und Eltern mit Kind – im Moment ist hier niemand, also gehe ich hinein, obwohl ich diese Kriterien nicht erfülle).

Hier finde ich zuerst neben einem knallig orangen Bällebad nur zeitgenössische Kinderbücher, z.B. ein Buch „Bleib gesund mit den Yoga Kühen“.

Aber dann, in der hintersten Ecke, stoße ich auf 3 alte Bände aus dem Jahr 1953 mit brüchigen und vergilbten Seiten: „Die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“. Ich schmökere in König Drosselbart und Frau Holle. Viele der Märchen kenne ich noch gar nicht, z.B. „Des Teufels rußiger Bruder“.

Nun ist der akademischen und nostalgischen Recherche Genüge getan und ich suche mir einen Platz zum Schreiben.

Das Herzstück der Bibliothek ist der lang gestreckte terrassenartige Arbeitssaal mit regelmäßiger Holztäfelungen und Fenstern. Hier sitzen unzählige Studierende vor ihren Notebooks und Büchern und lesen und schreiben – wie Arbeitsbienen in einen riesigen Bienenstock. Ich höre leises Rascheln und Tippen, manchmal prasselt ein Regenschauer auf das Glasdach, dann fallen wieder Sonnenstrahlen herein.

Hier sitze ich nun und lasse meine Gedanken in die Märchenwelt schweifen.

Was sind die wichtigsten Zutaten eines Märchens?

  • eine Hauptfigur, die eine charakterliche Reise macht – entweder ist sie schon „gut“ und wird in Versuchung geführt, oder sie hat noch schlechte Eigenschaften und muss zur Läuterung geführt werden
  • ein Gegenspieler (z.B. Stiefmutter), eine böse Kraft (z.B. Hexe), ein Fluch
  • Märchenzahlen wie 3, 7 und 12
  • Zauberkräfte, übernatürliche Ereignisse, Gegenstände mit magischen Eigenschaften
  • Menschen, die sich in Tiere verwandeln oder umgekehrt, sprechende Tiere
  • ein beschwerlicher Weg mit Prüfungen und Entbehrungen für die Hauptfigur
  • eine helfende Kraft (z.B. Königssohn küsst die Prinzessin wach) oder Besinnung auf die eigenen Tugenden
  • Belohnung für die Guten, Bestrafung für die Bösen, eine Moral der Geschichte
  • Märchen sind auch Spiegel der Gesellschaft und zeigen Missstände auf

Das gewisse Extra:

Schon auf meinem Hinweg fällt mir am Bahnsteig dieser Unhold auf – ich habe ihn mir gleich als Märchenbösewicht vorgemerkt.

Inspiriert von meinen Eindrücken aus der Grimm-Bibliothek und natürlich ihren Märchen habe ich aus den genannten Zutaten am Sonntag ein Märchen geschrieben.

Möchtet ihr wissen, wie es Prinzessin Rotbäckchen auf ihrer Reise ergeht?

Ich kann schon verraten, dass sie auf einen tanzenden Storch und eine Yoga-Kuh trifft und auch Aas, Bienen und Zizibe vorkommen. Auch hat sich heimlich eine Liebesgeschichte eingeschlichen, obwohl das gar nicht mein Plan war.

Ich hoffe, ihr findet Vergnügen an:

Prinzessin Rotbäckchen und der siebenjährige Tag

Meine Sterne-Wertung für den Schreibort:

Produktivität („wordcount“)

★★★★☆

Inspiration

★★★★★

Kindheit-trifft-Germanistik-Faktor

★★★★★

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